Gesundheitssystem: Mensch oder Fall?

Überlastete Ärzte und Pflegende, Krankenhauskeime und Klinikschließungen beeinträchtigen die Qualität der Gesundheitsversorgung. So kann es nicht weitergehen. Wie wichtig unser Gesundheitssystem ist, hat die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt. Klatschen allein wird keine Veränderungen bewirken. Wichtiger wäre es, Leistungen angemessen zu vergüten und Klinikgewinne zu reinvestieren.

Im Fokus des Gesundheitssystems steht nicht der Mensch, sondern: die Fallpauschale. Seit ihrer Einführung im Jahr 2014 wird pauschal nach Fällen abgerechnet. Verschiedene Leistungen werden dabei unterschiedlich vergütet. Das meiste Geld verdienen Kliniken unter anderem mit Herzkatheteruntersuchungen und künstlichen Knie- und Hüftgelenken. In Deutschland werden im internationalen Vergleich die meisten neuen Hüftgelenke implantiert. Warum unsere Hüftgelenke schneller verschleißen sollen als beispielsweise die der Österreicher oder Norweger, erschließt sich vermutlich nur wenigen.

Geldverdienen zu Lasten der Patientensicherheit

Möglichst kurz muss der Krankenhausaufenthalt sein. Denn wer länger bleibt, kostet mehr Geld. Solcher Mehraufwand wird den Kliniken nicht erstattet. Um notwendige Gewinne zu generieren, muss die Verweildauer sinken. Seit 1991 fiel diese von 14 Tagen auf knapp die Hälfte. Der Druck kann dazu führen, dass Ärzte Patienten zu früh entlassen und zuhause Komplikationen auftreten. Dafür gibt es mittlerweile sogar Begriffe: Drehtüreffekt oder blutige Entlassung.

Stellenabbau ist der einfachste Weg, Kosten einzusparen. Gerade im medizinischen und pflegerischen Bereich kann dieser zu lebensgefährlichen Fehlern führen. Denn mit Personaleinsparungen wächst zum Beispiel das Risiko für Patienten, sich mit Krankenhauskeimen zu infizieren. Eine wirksame Händedesinfektion dauert 30 Sekunden und muss vor und nach jedem Patientenkontakt durchgeführt werden. Wenn eine Pflegeperson für 10 Patienten zuständig ist und mit jedem dieser 12 Kontakte hat, dann müsste sie ein Viertel der Arbeitszeit, zwei Stunden, allein für die Händedesinfektion aufwenden. Deswegen wird diese zwar oft durchgeführt, allerdings selten die geforderten und vor allem dringend notwenigen 30 Sekunden lang. 

Kosten senken Klinikträger auch, indem sie Tätigkeiten wie Reinigung, Wäscherei und Küche an Drittanbieter übertragen. Gerade die Hygieneanforderungen in Krankenhäusern sind hoch und desinfizierende Reinigungen auf bestimmte Keime abgestimmt. Drittunternehmen zahlen schlecht und beschäftigen allzu oft zu wenig und vor allem ungeschultes Personal.

Versorgungslage wird schlechter

Für eine ambulante Notfallbehandlung bekommen Kliniken teilweise nur 32 Euro. Auch die Behandlung von Kindern wird schlecht vergütet. Notfälle sind nicht vorhersehbar und die Fixkosten hoch. Vor allem private Anbieter schließen deshalb Kinderkliniken und Notfallzentren. Lange Anfahrtswege, um Krankenhäuser der Grundversorgung zu erreichen, sind die Folge. Während spezielle Eingriffe besonders geschulte Operateure an spezialisierten Kliniken benötigen, sollte dennoch eine wohnortsnahe Grundversorgung gewährleistet sein. Notfälle ereignen sich nämlich auch außerhalb von Ballungsgebieten.   

Priorität: der Patient

Egal welcher Träger, ob kommunal, frei-gemeinnützig oder privat, sie alle bedienen sich der gleichen Maßnahmen, um Kosten zu senken. Dadurch leidet die Versorgung der Patienten. Aber Patientensicherheit muss höchste Priorität haben.

Daher muss sich die Gesellschaft überlegen, wie wichtig sie Gesundheit und Pflege findet. Wie soll Gesundheitsversorgung aussehen und wie viel darf sie kosten? Dementsprechend müssen die Spielregeln und Anreize für Klinikträger gesetzt werden. Wollen wir eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege, werden wir dafür die entsprechenden Mittel aufbringen müssen. Sonst heißt es weiterhin: Fall statt Mensch.


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Kommentare

1 Antwort zu „Gesundheitssystem: Mensch oder Fall?“

  1. Avatar von Judith Michel
    Judith Michel

    Hallo Mona,

    ich finde deinen Beitrag sehr interessant und du greifst eine wichtige Thematik auf. Die Probleme im deutschen Gesundheitssystem sollten gerade im Verlauf der Corona-Pandemie einem Großteil der Bevölkerung bewusst geworden sein. Es ist wohl offensichtlich, dass ein dringender Reformbedarf besteht. Die Frage ist aber, wie diese Reform aussehen soll?

    Natürlich sind die Vergütung der Leistungen und die Entlohnung des Personals Punkte, die zu erheblichen Problemen im Gesundheitssystem führen. Und selbstverständlich sollte die Qualität der medizinischen Versorgung nicht leiden, so wie sie es in den letzten Jahren getan hat. Aber wie soll die Lösung dafür aussehen?

    Eine einfache Erhöhung der Vergütung für Leistungen und Personal ist keine wirkliche Lösung. Denn wer soll diese Kosten finanzieren? Gerade bei privaten Krankenhäusern muss ja wenigstens eine Kostendeckung erreicht werden. Ich sage nicht, dass das moralisch vertretbar ist, aber leider sehe ich selber auch keinen wirklichen Ausweg. Und auch bei staatlichen Einrichtungen sollten bzw. können nicht grenzenlos Neuschulden aufgenommen werden. Diese Schulden müssen nämlich auch irgendwann zurückgezahlt werden und diese Last wird nur von den jungen Generationen getragen werden. Daraus ergibt sich dann wiederum die Frage nach der Generationengerechtigkeit im Gesundheitssystem.

    Ich finde es Bedarf definitiv einer Änderung in unserem Gesundheitssystem und die Patientensicherheit sollte Priorität haben, aber die Finanzierung darf auch nicht aus den Augen verloren werden. Ich finde das Thema ist sehr komplex und facettenreich, sodass man gar nicht die Möglichkeit hat, alle Probleme in einem Blogbeitrag darzustellen. Insgesamt fand ich deinen Beitrag sehr interessant, hätte es aber schön gefunden, wenn du mehr auf Reformvorschläge oder die sogenannten Anreize und Spielregeln eingegangen wärst.

    Liebe Grüße Judith

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