Das Tempolimit: Ein Symbol des Konflikts zwischen Wirtschaftsinteressen und konsequenter Umweltpolitik

In Zeiten, in denen Verkehrsminister Volker Wissing ein Tempolimit mit einem Mangel an Verkehrsschildern abtun muss, wird besonders deutlich, wie verzweifelt ein Industriesektor an veralteten Privilegien festzuhalten versucht. Dies wirft unweigerlich die Frage auf: Hindert uns die Autoindustrie an offensichtlich sinnvollen Entscheidungen hin zu einer konsequenteren Umweltpolitik?

Deutschland ist allseits als Autonation bekannt. Der Automobilsektor erwirtschaftet mit rund zwei Millionen Beschäftigten knapp 5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. Das Auto steht eng verbunden mit der deutschen Identität. Infolgedessen wird an scheinbaren Freiheiten, wie dem Fahren ohne Tempolimit, eisern festgehalten. Doch diese Haltung fällt zunehmend aus der Zeit.

Wirft man zum Vergleich einen Blick auf unsere industrialisierten Nachbarländer, wird deutlich, dass Deutschland eine Außenseiterrolle einnimmt: So gilt beispielsweise in Österreich und der Schweiz auf Autobahnen ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern. In Frankreich liegt das Tempolimit bei 130 Stundenkilometern, die jedoch auf vielen Strecken auf nur 110 Stundenkilometer abgesenkt werden. Die einzigen Länder weltweit, die den Verkehr wie Deutschland unreguliert fließen lassen, sind Länder, in denen eine mangelhafte Straßeninfrastruktur die Regulierung ersetzt: Man kann vor lauter Schlaglöchern ohnehin nicht besonders schnell fahren. Anders ausgedrückt: in keinem Land außer Deutschland ist es auf legalem Wege möglich, Geschwindigkeiten jenseits der 200 Stundenkilometer zu fahren.

Vor diesem Hintergrund muss man sich die Frage nach den Gründen für diese Außenseiterrolle stellen. Die fehlenden Verkehrsschilder, die der Verkehrsminister anführt, dürften kaum der wesentliche Grund sein. Vielmehr erlaubte das fehlende Tempolimit den deutschen Premiumherstellern jahrzehntelang die Produktion hochmotorisierter Fahrzeuge, die auf den deutschen Straßen ausgefahren werden konnten. Vor diesem Hintergrund ist es rein wirtschaftlich nachvollziehbar, an einem solchen Privileg festzuhalten. Jedoch erfährt der Automarkt aktuell einen Wandel hin zur Elektromobilität, die auf niedrigere Geschwindigkeiten ausgelegt ist. 

Unter Sicherheitsgesichtspunkten kann dies nur unterstützt werden. Hier kommt dem Tempolimit eine zentrale Bedeutung zu. Deutschland hat eine sehr hohe Zahl von Verkehrstoten. 14 Prozent der Verkehrsunfälle mit Personenschaden werden hierzulande durch erhöhtes Tempo verursacht. Empirische Studien deuten stark darauf hin, dass eine Verringerung der Geschwindigkeit signifikant zur Verringerung schwerer Unfälle beitragen würde. Entsprechend ist es nötig, den Schritt in Richtung mehr Verkehrssicherheit zu gehen.

Doch auch indirekt wäre die Auswirkung immens. Studien zeigen, dass die Treibhausemissionen durch ein Tempolimit um jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gesenkt werden könnten. Dies entspricht mehr als den jährlichen Durchschnittsemissionen aller Einwohner Stuttgarts. Insbesondere jedoch hätte ein Schritt hin zu einem Tempolimit Signalwirkung auf andere Länder, dass Deutschland seinen vertraglich vereinbarten Verpflichtungen zur Emissionssenkung auch im Verkehrssektor endlich nachkommt und sich nicht länger den Interessen seiner Autoindustrie unterordnet.

Sicherheits- sowie umweltpolitische Aspekte machen also deutlich: Es ist rückwärtsgewandt, den Interessen unserer Automobilindustrie allzu sklavisch zu folgen, denn dies hindert uns an der Einhaltung unserer Umweltziele. Es wird Zeit, dass Deutschland dies endlich anerkennt und mit dem Tempolimit einen Schritt in Richtung zu mehr Klimaschutz wagt.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

1 Antwort zu „Das Tempolimit: Ein Symbol des Konflikts zwischen Wirtschaftsinteressen und konsequenter Umweltpolitik“

  1. Avatar von Yannick Schmauder
    Yannick Schmauder

    Den Mangel an Verkehrsschildern als Begründung, oder sogar als Hauptgrund für eine Ablehnung des Tempolimits anzuführen, wirft die Frage auf, ob es in dieser Diskussion überhaupt noch um Fakten geht.
    Politikerinnen und Politikern einer bestimmten Partei bezeichneten eine Studie des Umweltbundesamt zur Einführung eines Tempolimits und den positiven Folgen für das Klima als unglaubwürdig. Studien und Forschungsanstrengungen sowie wissenschaftlich fundierte Argumente der Partei, die das Bundesverkehrsministerium leitet, sucht man derweil vergebens. Böse Zungen könnten behaupten, man versuche hier eine absichtliche Forschungslücke klaffen zu lassen und Fakten zu ignorieren, um eigene Interessen durchsetzen zu können.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert