Pflegeversicherung: Reform oder Wahlkampfgeschenk?

Die Pflegereform. Ein Thema, mit dem sich die wenigsten beschäftigen, obwohl es die meisten betrifft. Bessere Entlohnung der Pflege, geringere Eigenanteile, mehr Leistungen für Angehörigenpflege. Klingt zuerst gut, aber wer zahlt dafür?

Das Gerechtigkeitsproblem

Das Umlageverfahren, das in der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) Anwendung findet, ist auch aus den anderen Zweigen der Sozialversicherung bekannt. Das Prinzip: Junge und Arbeitende zahlen für die Älteren und nicht Leistungsfähigen, auch Generationenvertrag genannt. Dieses System ist nachhaltig, wenn die zukünftigen Einzahlungen den zukünftigen Auszahlungen entsprechen. Schon hier liegt das erste Problem: die aktuellen Empfänger von Pflegeversicherungsleistungen haben selbst nie eingezahlt, da die Versicherung erst 1995 eingeführt wurde. Damals mit einem wesentlich niedrigeren Beitragssatz von 1 Prozent. Dies steht in einem deutlichen Kontrast zu allen anderen – gegenwärtigen und zukünftigen – Generationen, die Leistungen nur gegen eine vorherige Gegenleistung erhalten. Versteht die Regierung das unter Generationengerechtigkeit?

Die Finanzierungslücke

Schon ohne größere ökonomische Kenntnisse ist bekannt: Man kann nicht mehr ausgeben als man einnimmt. Der ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn schien dieses Prinzip nicht zu kennen. Einerseits führen die zusätzlichen Leistungen, die die Pflegereform zusichert, zu massiv erhöhten Ausgaben, andererseits wird gleichzeitig der Eigenanteil der Versicherten an den Aufwendungen drastisch gekürzt. Vor der Reform gab es einen bestimmten Betrag, der im Fall der Pflegebedürftigkeit von der Versicherung gedeckt wurde. Alles darüber hinaus mussten die Versicherten als Eigenanteil übernehmen.

Zukünftig soll ein so genannter Sockel-Spitze-Tausch durchgeführt werden. Dabei wird ein fixer, begrenzter Eigenanteil – der Sockel – festgelegt, welcher Preissteigerungen in der Zukunft unberücksichtigt lässt. Dies führt dazu, dass schrittweise die Kassen fast alle anfallenden Kosten vollständig übernehmen. Klingt nach Entlastung der Pflegebedürftigen, aber wen entlastet es wirklich?

Ein Wahlkampfgeschenk?

Schon vor der Versicherung erhielten ausschließlich Pflegebedürftige, die ihre Pflegeleistungen allein nicht finanzieren konnten, durch die Sozialhilfe Unterstützung vom Staat. Durch die Pflegeversicherung müssen nun auch Wohlhabende nicht mehr ihr Vermögen in ihre Pflege investieren, da auch für sie der Staat einspringt. Überspitzt gesagt ist die Soziale Pflegeversicherung nicht sozial, sondern ein Erbschaftsschutz für Wohlhabende. Dieses Muster findet sich wiederkehrend in der Pflegeversicherung. Die Bessergestellten werden entlastet, während Ärmere keine Vorteile haben oder sogar belastet werden. Dies ist eine massive soziale Ungleichbehandlung!

Die Prognose

Was aber passiert, wenn der optimistische Plan von Jens Spahn nicht aufgeht? Wenn mehr Leute ins Heim ziehen als gedacht, weil sie es nun immer weniger selbst finanzieren müssen? Wenn jeder denkt, „wenn ich nicht zahlen muss, darf es gerne auch ein bisschen teurer sein“? Werden alle möglichen Effekte, die durch die Reform eintreten können, berücksichtigt, kommen Studien zum Ergebnis, dass die Beiträge bei 7,8 Prozent liegen müssten. Aktuell liegen sie noch bei 3,05 Prozent, wobei ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Neubestimmung innerhalb des kommendes Jahres nötig macht.

Die unausweichliche Erhöhung des Beitragssatzes durch die Pflegereform betrifft überwiegend die junge und noch kommende Generation, denn sie müssen heute das teure System finanzieren – und das zusätzlich zu den steigenden Kosten in den anderen Sozialversicherungszweigen, denn – wie die Grafik zeigt – kommen zukünftig mehr Pflegebedürftige auf einen Erwerbstätigen, was eine zusätzliche Belastung durch den demografischen Wandel bewirkt.

Eine Reform der Reform?

Es ist unumstritten, dass Pflegekräfte eine bessere Bezahlung brauchen und Pflegebedürftige unterstützt werden müssen. Doch die Änderungen als Reform zu bezeichnen, ist Schönfärberei, da keine Verbesserung eintritt, sondern die Entlastung ohnehin Bessergestellter auf Kosten der mehrbelasteten jungen Generation durchgesetzt wird. Eine Reform der Reform ist dringend geboten!

Kommentare

1 Antwort zu „Pflegeversicherung: Reform oder Wahlkampfgeschenk?“

  1. Avatar von Julia Braun
    Julia Braun

    Definitiv ein Wahlkampfgeschenk! Wenn wir uns die Altersstruktur der vergangenen Wahlen in Deutschland ansehen, ist das kaum verwunderlich – deutlich mehr als die Hälfte der Wähler waren über 50 Jahre alt. Diese Personen brauchen sich vor hohen Beitragssätzen also nicht mehr allzu sehr fürchten. Ich finde es gut, wie du in diesem Zusammenhang die Generationengerechtigkeit hervorhebst. Denn irgendjemand muss ja für die explodierenden Sozialversicherungskosten unserer alternden Gesellschaft aufkommen!

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