An ever closer union – die falsche Richtung?

Europäische Zusammenarbeit – für Ludwig Erhard gelingt diese am besten, wenn sie sich in erster Linie auf die wirtschaftliche Verbindung der europäischen Staaten konzentriert. Ein „bürokratisch manipuliertes Europa“ ist ihm zuwider. Bis heute ist die Europäische Union kein leichtes Unterfangen.

Im selben Jahr, in dem Ludwig Erhard sein Buch „Wohlstand für alle“ veröffentlichte, wurde mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge ein wichtiger Grundstein für die Entstehung der Europäischen Union gelegt. Wie von Erhard gefordert, wurde durch die Verträge ein gemeinsamer Binnenmarkt in Form der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. Dass jedoch im Laufe der Jahrzehnte europäischer Zusammenarbeit immer weitere europäische Institutionen entstanden, die nicht zwingend für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit notwendig sind, widerspricht seinen Wünschen. Eine überstaatliche Einrichtung mit eigenen politischen Kompetenzen hielt er weder für realisierbar noch zielführend.

Heute ist die Europäische Union – entgegen Erhards Vorstellung – eine supranationale Organisation mit einem eigenen Parlament, einer eigenen Rechtsprechung und auch einer einheitlichen Währung. Einzelne Kompetenzen haben die Mitgliedsländer zwar an die EU übertragen, ihre starke Stellung als Nationalstaaten jedoch beibehalten. Prinzipiell arbeitet die Europäische Union nach dem Prinzip der Subsidiarität. Das heißt, dass die EU erst dann aktiv wird, wenn eine Lösung auf europäischer Ebene besser bereitgestellt werden kann als auf nationaler oder regionaler Ebene. Dabei die Balance zu halten, ist schwierig bis unmöglich, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.

So hat die ab dem Jahr 2015 aufkommende Flüchtlingskrise die EU vor eine besondere Zerreißprobe gestellt. Nach der Dubliner Vereinbarung gilt, dass Asylanträge eigentlich in jenem europäischen Land gestellt werden müssen, in das die Menschen zuerst in die EU einreisen. Jedoch sind jene Mitgliedsländer, in welche die meisten Flüchtlinge zuerst kommen, auch die, deren Asylbedingungen im EU-weiten Vergleich schlechter sind. Ursächlich dafür ist, dass die Mitglieder für die konkrete Ausgestaltung ihres jeweiligen Asylsystems zuständig sind. Einheitliche Regelungen der EU existieren diesbezüglich nicht. Bis zuletzt bestehen jedoch einzelne Nationalstaaten darauf, die Dubliner Regeln so konsequent wie möglich anzuwenden, obwohl die Belastungen für die europäischen Staaten und die Chancen für die Migranten ungleich verteilt sind.

Auch im geldpolitischen Bereich kommt es zu Problemen in der Kompetenzzuteilung zwischen der supranationalen Organisation und den Nationalstaaten. Die gemeinsame Währung verpflichtet den Euroraum zu einer gemeinsamen Geldpolitik – jedoch nur im Rahmen des durch die Staaten zugewiesenen Mandats. Nach einem kürzlich getroffenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Europäische Zentralbank dieses mit ihrem Anleihenkaufprogramm in Folge der Eurokrise überschritten. Dies offenbart ein fragiles Gleichgewicht: Zwar beabsichtigt das Verfassungsgericht keine Provokation, es zeigt jedoch unmissverständlich, dass die EU nicht dazu befugt ist, die Nationalstaaten zu ersetzen. Erhards Warnung davor, die Europäische Gemeinschaft mit politischen Institutionen zu überladen, ist so gesehen alles andere als unberechtigt. Immer wieder stoßen europäische und nationale Institutionen aneinander. Wie auch von Ludwig Erhard befürwortet, gehören zu den eigentlichen großen Errungenschaften der EU der Binnenmarkt und die Personenfreizügigkeit. Sie bestimmen primär das alltägliche Leben in Europa – genauso wie die gemeinsame Währung. Obwohl sie durch die unterschiedlichen finanz- und geldpolitischen Ansätze der Mitgliedsstaaten nicht unproblematisch ist, ist der Euro gerade für die jüngere Generation nur schwer wegzudenken. Dennoch gibt es auch nach über 60 Jahren keinen gemeinsamen europäischen Geist, der grenzübergreifend alle Mitglieder prägt und dadurch eine weitere politische Integration vorantreibt. Doch: Liegt es nicht an uns allen, eine europäische Identität zu bilden und unser Zusammenleben in Europa zu gestalten?

Kommentare

1 Antwort zu „An ever closer union – die falsche Richtung?“

  1. Avatar von Timon Renz
    Timon Renz

    Also erst die europäische Identität und dann die politischen Institutionen? Aber wann wäre der hinreichende Grad an Identität dann erreicht?

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