Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz plant das Arbeitslosengeld I auf bis zu vier Jahre zu verlängern, indem Weiterbildungsmaßnahmen großzügiger berücksichtigt werden. Erhoffter Nebeneffekt: eine Verringerung des Fachkräftemangels. Doch das „Arbeitslosengeld Q“ ist lediglich eine fehlgeleitete Abkehr von der anreizgesteuerten Arbeitslosenversicherung.
Das Arbeitslosengeld I (ALG I) ist die erste Unterstützungsleistungen, die ein neuer Arbeitsloser erhält. Sie ist im Regelfall auf zwölf Monate begrenzt, allerdings kann sich dieser Zeitraum durch Qualifizierungsmaßnahmen verlängern, wenn auch nur um die Hälfte der Weiterbildungszeit. Wer sich also für sechs Monate umschulen lässt, bekommt das ALG I drei Monate länger. Angesichts der Alternative, dem Arbeitslosengeld II oder auch „Hartz IV“, setzt dies bereits starke Anreize für eine Qualifizierung.
Nach Ansicht von Martin Schulz und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sollen Arbeitslose in Zukunft von der staatlich geförderten Weiterbildung noch deutlich länger profitieren und damit die Chancen am Arbeitsmarkt idealerweise weiter verbessern. Wer an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnimmt, der würde ihren Plänen nach ein Arbeitslosengeld Q für bis zu 48 Monate beziehen können. Die staatliche Unterstützung in Höhe des ALG I wäre also für vier Jahre verfügbar.
Durch die Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung soll auch eine Anpassung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente erfolgen. Laut Schulz sei das heutige Problem des Arbeitsmarktes nicht mehr die Massenarbeitslosigkeit, sondern der Fachkräftemangel. Während man dieser Feststellung in der derzeitigen Arbeitsmarktlage noch zustimmen kann, ist das Schulz-Q – mit einem Q wie „Qualifizierung durch den Staat“ – keine bedarfsgerechte Lösung für den Fachkräftemangel. Es handelt sich dabei lediglich um eine wahltaktisch begründetet Abkehr von der Agenda 2010.
Die Anreize, die durch den neuen Q-Plan entstehen, sind für einen robusten und fairen Arbeitsmarkt ungeeignet. Natürlich benötigen sinnvolle Weiterbildungsmaßnahmen Zeit und ebenso sollte der Versuch einer Umschulung oder Weiterqualifizierung über die Arbeitsagenturen auch belohnt werden. Aber genau hierfür bietet die bereits bestehende Regelung des ALG I die richtigen und ausreichenden Anreize. Das neue Konzept würde dagegen dazu verleiteten, übermäßig viele, allzu häufig dann auch unnötige Qualifizierungsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen. Viel hilft hier nur selten viel. Denn wird Maßnahme an Maßnahme gereiht, verzögert dies die Wiedereingliederung in den aktiven Arbeitsmarkt. Schlimmer noch: Es ist durch zahlreiche Studien belegt, dass die Rückkehr in den Arbeitsmarkt umso schwieriger wird, je länger die Arbeitslosigkeit bereits dauert – trotz Qualifizierungsmaßnahmen.
Darüber hinaus würde das Arbeitslosengeld Q eine „staatliche Berufsausbildung“ etablieren, da die bis zu vier Jahre dauernde Weiterbildung bzw. Umschulung zumindest der Länge nach einer klassischen betrieblichen Ausbildung gleich käme. Es ist zu bezweifeln, dass eine von den Arbeitsagenturen durchgeführte Berufsausbildung einer zielgenauen Förderung überhaupt entsprechen kann. Die Erfahrungen früherer Programme mit ähnlicher Zielsetzung sprechen dagegen. Weitaus überzeugender ist es, die Berufsausbildung dort zu belassen, wo sie hingehört: bei den Unternehmen. Sie kennen die Anforderungen an ihre Arbeitnehmer am besten. So kann eine derart umfassende staatliche Qualifizierung per se nicht die Lösung für das Problem des Fachkräftemangels sein.
Schließlich würde der Arbeitsmarkt massiv an Flexibilität verlieren. In der jetzigen Arbeitsmarktlage nahe an der Vollbeschäftigung mag dies zunächst nicht problematisch erscheinen. Doch der nächste Abschwung kommt bestimmt und die Arbeitslosenzahlen werden wieder steigen. Dann wird eben jene Flexibilität wieder benötigt, die aber nicht mehr gegeben ist. Vielmehr würde eine steigende Anzahl an Arbeitslosen in die Qualifikationsmaßnahmen streben, um sich das ALG I zu sichern. Die Belastung für die Staatsfinanzen stiege erheblich, wodurch Mittel an anderen Stellen, etwa für großzügige Konjunkturprogramme fehlen würde. Die Bereitschaft, sich aktiv in den Arbeitsmarkt einzugliedern, wäre noch weniger ausgeprägt. Die Folge wäre eine Art staatliche Arbeitsverwaltung. Immerhin wäre durch die hohe Arbeitslosigkeit das Problem des Fachkräftemangels von der Tagesordnung verschwunden. Dafür bedarf es allerdings keines Schulz-Qs.
Bis heute bestehen die Arbeitsmarktregelungen der Agenda 2010. Sie sind zu einem guten Teil verantwortlich dafür, dass der deutsche Arbeitsmarkt so stabil da steht wie lange nicht mehr. Martin Schulz rüttelt aus wahltaktischen Gründen an diesen Regelungen. Er erhofft sich von der Abwendung seiner Partei von der Agenda 2010 einen Erfolg bei der Bundestagswahl im Herbst 2017. Um seine vermeintliche Stammklientel, die Facharbeiter und Gewerkschaftsmitglieder anzusprechen, setzt sein arbeitsmarktpolitisches Konzept ausschließlich beim ALG I an, das in der außergewöhnlichen aktuellen Arbeitsmarktlage überhaupt keiner Reform bedarf und selbst in einem Abschwung nur geringer Korrekturen oder Nachsteuerungsmaßnahmen bedürfte. Bedauerlich ist an dieser Schwerpunktsetzung vor allem eines: Schulz‘ Konzept vernachlässigt die zwei Drittel aller Arbeitslosen, die nicht das ALG I, sondern das ALG II, also Hartz IV, beziehen. Diese Menschen scheint der Sozialdemokrat Schulz als potenzielle Wähler längst aufgegeben zu haben.
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