Kann man Politische Korrektheit politisch korrekt scheiße finden?

Es ist wahrhaft furchterregend, was sich in den Hörsälen amerikanischer und britischer Universitäten abspielt. Die „Politische Korrektheit“ greift so sehr um sich, dass niemand mehr weiß, was er noch sagen und tun darf. Ihre Auswirkungen sind mittlerweile auch bei uns zu spüren und sollten uns zu denken geben.

Einst sollte Politische Korrektheit Handlungen und Ausdrücke beseitigen, die Personen als verletzend oder kränkend empfinden könnten. Begrifflichkeiten in Schrift und Sprache, die als sexistisch oder rassistisch gelten, sind Beispiele für eine anstößige Ausdrucksweise. Ein sorgfältiger und achtsamer Umgang mit Sprache steht jedem gut an, so dass diese Form der Politischen Korrektheit eher der Erinnerung an Selbstverständliches dient.

Die Befürworter der Neuen Politischen Korrektheit entfernen sich jedoch zunehmend von dieser ursprünglichen Bedeutung. Mittlerweile lassen sich Themen wie Abtreibung und Religion kaum noch diskutieren, da sich stets jemand angegriffen fühlt. Kontroverse Themen verletzten den so genannten „Safe Space“ von Menschen, wobei laut „Independent“ solche geschützten Räume wie folgt umschrieben sind: „Safe Spaces sollen frei von Diskriminierung, Belästigung und Hassreden gegen unterprivilegierte Gruppen wie Frauen, Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transsexuelle und ethnische Minderheiten sein. (…) Menschen können aus diesem Schutzraum entfernt werden, wenn ihre anstößigen Sichtweisen denselben bedrohen“.

Nun mag man mit einigem Recht private Foren schaffen, in die Menschen, deren Absicht die Diskriminierung oder Belästigung ist, gar nicht erst hineingelassen werden. Problematisch wird es, wenn in die umgekehrte Richtung argumentiert und gefordert wird, dass Menschen aus öffentlichen Räumen entfernt werden, wenn sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung zum Missfallen einiger Anwesender äußern. In einer Demokratie ist das Entfernen eines Diskutanten mit unerwünschten Ansichten, der sich ansonsten aber an die Regeln einer gepflegten Debatte hält, eine totalitäre Maßnahme. Will man wirklich im Namen der Politischen Korrektheit die Unterdrückung unerwünschter Meinungen und die Diskriminierung von Personen befördern? Dies stünde der freiheitlichen demokratischen Grundordnung konträr entgegen.

Gerade Universitäten sind öffentliche Institutionen, die sich durch höchst kontroverse Diskussionen und schärfste Meinungsverschiedenheiten auszeichnen. Der Dissens und durchaus auch die Provokation sind der Nährboden für wissenschaftlichen Fortschritt. Vor diesem Hintergrund sind Universitäten alles andere als geeignet für die überbordende Neue Politische Korrektheit. Schaut man allerdings auf die jüngsten Vorgänge an US-amerikanischen und britischen Universitäten, dann kommen einem Zweifel an der Korrektheit der Neuen Politischen Korrektheit.

Am Goldsmith Institute in London stellten Studenten der „Islamischen Gesellschaft“ einen Projektor ab, weil sie sich durch den Vortrag der iranischen Menschenrechtlerin Maryam Namazie über „Apostasie, Blasphemie und freie Meinungsäußerung im Zeitalter des IS“ angegriffen fühlten. Am Christ Church College in Oxford empörten sich Feministinnen anlässlich einer Debatte über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch darüber, dass zwei „Personen ohne Gebärmutter“ als Redner vorgesehen waren. Als dreihundert Protestlerinnen drohten, „Instrumente“ mit in den Saal zu bringen, wurde die Veranstaltung in einer Art vorauseilendem Gehorsam abgesagt. Wenn gelebte Politische Korrektheit nichts anderes als Intoleranz ist, dann nimmt die Institution Universität Schaden.

Mittlerweile gibt es auch in Deutschland eine Debatte über politische Korrektheit; gefühlt beschränkt sie sich jedoch auf die Streichung nicht zeitgemäßer Begriffe in älteren Kinderbuchklassikern, deren Autoren sich nicht mehr wehren können. Dennoch ist zu beobachten, dass die Bedeutung einer politisch korrekten Ausdrucksweise zunimmt. Selbst im beschaulichen Freiburg ist dies zu begutachten. So wurde aus dem Schriftzug „Besucher“ vor dem Rektorat der Albert-Ludwigs-Universität, der die Parkplätze kennzeichnet, durch Schwärzung des „er“ kurzerhand „Besuch“. In Vorlesungsskripten werden aus männlichen Personalpronomen weibliche und Professoren wissen nicht mehr, ob sie den Begriff „Studenten“ noch ohne weiteres verwenden dürfen.

Trotz aller Mühen wird Rassismus, Sexismus und Diskriminierung durch rein sprachliche Anpassungen nicht überwunden. Vielmehr enthüllt diese Vorgehensweise die Unfähigkeit, die tatsächlichen Ursachen von Rassismus und Sexismus jenseits der Sprache zu beheben. Diese Herangehensweise mündet in einer von Sprachwissenschaftlern so genannten „Euphemismus-Tretmühle“. Dieses Phänomen beschreibt, wie sich ein beschönigender Begriff im Laufe der Zeit abnutzt und nach und nach den negativen Beigeschmack seines Vorgängerausdrucks annimmt, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse nicht verändern. Konkret ist also zu vermuten, dass politisch korrekte Begriffe langsam, aber sicher die Bedeutung des Wortes, das sie ersetzen sollen, erben, wenn sie nicht mit einer Veränderung der sozialen Wirklichkeit einhergehen. So wurde aus dem „Neger“ zunächst der „Schwarze“, dann der „Farbige“ und heute ist man sich unsicher, ob man „Afroamerikaner“ noch verwenden darf oder ob das Wort ebenfalls bereits unkorrekt ist.

Anstatt der sozialen Wirklichkeit mit dem Versuch einer wirklichen und ernsthaften Veränderung zu begegnen, beschönigt die Neue Politische Korrektheit diese nur, indem sie kontinuierlich ein Sammelsurium an Wortschöpfungen hervorbringt und auf diese Weise die Symptome gesellschaftlicher Missstände bekämpft und nicht ihre Ursachen. Solange nachhaltiges Handeln jedoch durch den Glauben an Worte, Vereinfachung und in den schlimmsten Ausprägungen auch Intoleranz ersetzt wird, verhindert Politische Korrektheit in problematischer Weise nicht nur eine wirkliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Missständen, sondern erschafft zugleich neue.

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