Vom Stift zum Füllfederhalter: Überakademisiertes Deutschland

Das Universitätsstudium gilt als Garant für Karriere und Ansehen. So wird der Zulauf größer und praktische Ausbildungen geraten ins Hintertreffen. Unternehmen meckern über fehlende praktische Qualifizierung der Berufseinsteiger und fordern – trotz der Vielzahl an alternativen dualen Ausbildungsmodellen – allen Ernstes eine praxisorientierte Lehre an Unis. Die absurde Realität im deutschen Bildungssystem.

Ursprünglicher Fokus der universitären Lehre war es, Studenten für die wissenschaftliche Arbeit auszubilden. Universitätsabsolventen fanden ihren späteren Beruf in aller Regel im forschungsnahen Bereich. Mittlerweile sieht die Realität ganz anders aus: Ein großer Teil der Absolventen wird nach dem Studium in Unternehmen beschäftigt. Doch für diese Art der Beschäftigung ist die Lehre an deutschen Universitäten nicht gemacht. Sie bildet theoretisch aus und arbeitet auf eine wissenschaftliche Laufbahn hin.

Ganz anders sieht es an Fachhochschulen (FH), dualen Hochschulen (DH) oder bei der dualen Berufsausbildung aus. Das Studium an der FH weist einen weitaus größeren Praxisbezug auf als das an Universitäten. Die beiden dualen Modelle umfassen sogar zu gleichen Teilen theoretische und praktische Perioden. Doch trotz dieses Vorteils sinken vor allem die Zahlen der dualen Berufsausbildung stetig, während an den Universitäten immer mehr Studienanfänger verzeichnet werden. Warum ist das so? Und was sind die Folgen dieser Überakademisierung?

Die duale Berufsausbildung leidet – zu Unrecht – unter einem schlechten Ruf und stellt für die meisten Abiturienten keine echte Alternative zum Studium dar. Und auch bei diesem streben nach wie vor die meisten nach dem vermeintlichen Nonplusultra – dem Universitätsstudium, unabhängig von der Fachrichtung oder von zukünftigen Berufswünschen. Eine universitäre Ausbildung verspricht bessere Chancen am Arbeitsmarkt, höhere Gehälter und besseres Ansehen – so die herrschende Meinung. Als Folge daraus werden immer mehr Universitätsabsolventen auf den Arbeitsmarkt gespült, woraufhin Unternehmen ihre Unzufriedenheit über die Leistungen der Berufseinsteiger äußern. So manches Unternehmen fordert von der Universitäten eine praxisorientiertere Ausbildung, die die Studenten besser auf das Berufsleben in der Wirtschaft vorbereitet. Wer mit den umfangreichen Möglichkeiten des deutschen Bildungssystems vertraut ist, kann sich über diese Forderung nur wundern.

Universitäten, Fachhochschulen, Duale Hochschulen oder die Berufsausbildung – von sehr theoretisch bis hin zu hoher Praxisorientierung gibt es für jeden Zweck ein Ausbildungsmodell. Jedes davon ist wichtig und je nach Berufsziel besonders gut geeignet für einen bestimmten Teil der Schulabgänger. Leider unterliegen die Modelle einem gesellschaftlichen Ranking, welches nicht ganz ohne Einfluss der Politik so entstanden ist. Mehr Studenten an deutschen Universitäten war jahrelang gemeinsames Ziel der OECD und der Regierung. Und so konnten die Universitäten einen guten gesellschaftlichen Ruf erlangen, trotz nicht optimaler Eignung für praxisorientierte Schulabgänger.

Die Lösung dieses Problems sollte jedoch unter keinen Umständen mehr Praxisbezugs an Universitäten sein. Theoretische Bildung sollte hier weiterhin im Fokus stehen, während an FHs, DHs und Berufsschulen mit verstärkter Ausrichtung auf die Praxis gelehrt wird. Vielmehr ist es nötig, dass die verschiedenen Modelle von der Gesellschaft nicht mehr als „besser“ oder „schlechter“ bewertet werden, sondern als unterschiedliche Ansätze mit anderen Schwerpunkten gesehen werden. Aufgabe der Politik ist es, vor allem dem krankenden Kind Berufsausbildung auf die Beine zu helfen. Studienabbrecher könnten verstärkt angeworben oder Abiturienten besser über die Ansätze der jeweiligen Modelle aufgeklärt werden. Deutschland braucht ein breiteres Feld an Berufseinsteigern mit verschiedenen Qualifikationen und  keine Massenproduktion von vermeintlichen Eliten an den Universitäten.


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