Der Homo Oeconomicus: A Beautiful Mind

 

Eine Gesellschaft, die sich von ihrer kulturellen Identität löst, bringt sich selbst in Gefahr. Bräuche verkommen zu Festen des Konsums und Bildung wird nicht mehr um ihrer selbst willen vermittelt, sondern als Mittel zur Konsumausweitung.

 

A Beautiful Mind

A beautiful mind, ein schöner, aber schizophrener Geist, das ist der Titel eines bekannten Films über John Forbes Nash. Nash ist Träger des Wirtschaftsnobelpreises 1994, den er für seine grundlegenden Analysen des Gleichgewichts in der nicht-kooperativen Spieltheorie erhielt. Als ein schöner schizophrener Geist lässt sich auch der ökonomische Mensch, der Homo Oeconomicus wie er von Volkswirten genannt wird, charakterisieren.

Beachtlich ist, dass dieser Geist für unsere heutige Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Konsumverhalten so relevant geworden ist. Ein Geist, der die Bedürfnisse des Menschen als abstrakte Präferenzen begreift, der seine Umwelt monetär quantifiziert, und dessen Handlungen stets einem egoistischen Maximierungskalkül folgen. Der ökonomische Mensch hält sich strikt an die Regeln der Spieltheorie und er spielt ein denkbar einfaches Spiel: Ja oder Nein.

Zu Beginn war er ein abstraktes Modell, doch zunehmend ließen wir Menschen uns von ihm beseelen. Wir glauben seither an den Konsum, an die Notwendigkeit der Gewinnmaximierung und an die Möglichkeit der perfekt rationalen Bewertung jeglichen menschlichen Handelns. Das Modell zeigt keine Abweichungen in den optimalen Entscheidungsvorgängen und ist wegen seiner Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit bei den Masterminds in Banken und Versicherungen so beliebt. Auf der Seite der Verbraucher zeigt sich der Optimierungszwang im Internet in Gestalt unterschiedlichster Dating-Plattformen oder in den für jede Art von Einkauf oder Dienstleistung verfügbaren Vergleichswebseiten. Wir lassen unsere Entscheidungen selbst dann von der Maximierungsmaxime des Homo Oeconomicus leiten, wenn es um sehr private oder emotionale Dinge geht.

Der kürzlich verstorbene FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher schrieb über den Homo Oeconomicus  sinngemäß: „Es ist gut mit ihm zu rechnen, aber schwer mit ihm zu leben“.

Aus einem Modell wird Realität

Schweißte in der frühen Bundesrepublik die noch greifbare Erfahrung der Schrecken und Nöte des Krieges die Menschen zusammen, verblasste im Laufe der Zeit die Erinnerung und das Wirtschaftswunder gab neue Orientierung. Die Ökonomie stand mehr und mehr im Blickpunkt und der Bedarf an Wirtschaftsexperten stieg. An den wirtschaftswissenschaftlichen Kaderschmieden der Republik erhielten viele junge Menschen eine Unterweisung im Gedankengut des Homo Oeconomicus. Menschen, die so sozialisiert und ausgebildet waren, machten sich alsbald auf, um in die höchsten Führungskreise aufzusteigen. Ihr Aufstieg erwies sich dabei als äußerst erfolgreich und der Geist des Homo Oeconomicus konnte sich verbreiten. Von allen Eigenschaften des Homo Oeconomicus machten die Wirtschaftslenker allem voran den Egoismus salonfähig.

Dass Menschen anderen Menschen ohne berechnenden Eigennutz Gutes tun könnten, findet in der Theorie des Homo Oeconomicus keine Erwähnung. Die beste Entscheidung ist nicht jene, die auf das gesellschaftliche Optimum abzielt, sondern diejenige, die berechnend eigennützig orientiert ist. Wenn solch ein theoretisches Konstrukt dem Menschen als Handlungsanleitung dient und ihn damit zum Agenten seiner eigenen Egoismen degradiert, dann entsteht ein bedrohliches Szenario: Eine unsägliche Verquickung von asozialem Lebenswandel, der Verkennung des Wertes wahrer Bildung und der Anpassung der Kultur an etwas dem Menschen Fremdes.

Kultur verkommen zur Ware

Geiz ist geil, dieser Slogan ist nicht nur ein Werbespruch, sondern das Dogma der westlichen Leitkultur. Wir leben nach dem Prinzip: Keine Leistung ohne Gegenleistung und jedermann ist käuflich. Kultur entsteht zwar auch aus wirtschaftlicher Tüchtigkeit, sie entsteht aber nicht aus Konsummaximierung. In der heutigen durchökonomisierten Gesellschaft wird die Nutzenmaximierung als reine Konsummaximierung verstanden und wird damit nicht einmal mehr der ökonomischen Theorie gerecht. Denn in der Theorie zieht der Homo Oeconomicus seinen Nutzen aus allem, was sein Leben besser macht. Dass die Muße, die Betrachtung des Schönen und andere Dinge, die Menschen früher etwas bedeuteten, auch den Nutzen steigern könnten, kommt dem Konsummaximierer der Gegenwart nicht mehr in den Sinn.

Von jeher hat der Mensch seine Kultur geprägt und die Wirtschaft funktionierte stets innerhalb des jeweiligen Kulturkreises. Wenn wir beginnen, die Kultur nach den Regeln des Homo Oeconomicus zu vermessen, wird unsere Kultur vermarktet. Der Homo Oeconomicus kennt als Ziele nur den größtmöglichen Profit oder den maximalen Konsum. Die tiefgründige Suche nach einem erfüllenden Sinn verschwindet in seiner Welt.

Verkennung der Bildung

Robert Speamann, ein zeitgenössischer deutscher Philosoph, schrieb: “Bilden heißt objektive Interessen wecken, sich bilden heißt, sich objektiv zu machen“. Wir müssen demnach offen für andere Ideen bleiben und uns die Fähigkeit erhalten, die vorherrschende Meinung kritisch-konstruktiv zu hinterfragen. Dies gilt natürlich auch für das dominierende Wirtschaftsmodell, das unser Denken bestimmt. Der Homo Oeconomicus mit seiner Beschränkung auf die individuelle Nutzenmaximierung ist nicht das Naturgesetz, für welches er so oft gehalten wird. Bildung kann einer Wirtschaft zugutekommen, darf ihr aber nicht ausschließlich dienen. Ein falscher Glauben an das theoretische Konstrukt des Homo Oeconomicus denunziert die Disziplinen der sozialen Intelligenz. Bei einem solchen Denken verkommen Solidarität, Kooperation und Selbstlosigkeit unter dem Deckmantel der Rationalität zu ebenso unhaltbarem wie unwissenschaftlichem Geplänkel. Zugleich wird der Egoismus als Ausgang für den vermeintlich perfekten Handel und dadurch der Markt manipuliert.

Selbst in der Bayrischen Verfassung, die ihre obersten Bildungsziele in Artikel 131 formuliert, steht: “Das Fremde sei dem Gebildeten eine Bereicherung, vereinbar mit Heimat und Vaterlandsliebe.“ Das Interesse am Fremden sollte daher kommen, dass wir uns bilden, also objektiv machen wollen. Das Interesse sollte nicht daher rühren, Fremdes aus Gedanken der Nutzenmaximierung missbrauchen zu wollen.

So sehen wir auch im Bildungswesen eine Ökonomisierung, die die Bildungsziele der Empathie und des objektiven Interesses untergräbt. Mittlerweile vergleichen Abiturienten akribisch verschiedenste Universitäten und Studienfächer, nicht weil sie ihr Interesse am Fach möglichst optimal befriedigen wollen, sondern weil die Wahl des Studienfachs der Maximierung ihres Humankapitals dienen soll. Der Erwerb von Elementarkompetenzen der Bildung wie fundiertes Wissen, analytisches Denken und klares Kommunizieren stehen nicht mehr im Mittelpunkt der Studienwahl. Bildung wird zunehmend auf den Erwerb von Arbeits- und Konsumfähigkeiten verkürzt, wodurch junge Menschen zwar als Homo Oeconomici auf Märkten funktionieren, aber nicht mehr den Unterschied zwischen Wissen und Information kennen. Wissen bedeutet, die Welt in ihren wahren Zusammenhängen zu verstehen. Informationen sind kein Wissen und die reine Akkumulation von Informationen lässt noch kein wahres Bild der Welt entstehen. Im Modell des Homo Oeconomicus spielen derartige Überlegungen keine Rolle. Für ihn ist nicht wichtig, ob Informationen wahr oder falsch sind, sondern nur ob die Verwendung dieser Informationen den Nutzen durch einen gesteigerten Konsum maximieren.

Die Instrumentalisierung der Kultur

Die Vermarktung unserer Kultur, die falsche Interpretation von Bildung und die Durchökonomisierung unserer Gesellschaft rufen weitere, weniger offensichtliche Veränderungen hervor.

Eine Gesellschaft ohne Identifikation mit der tradierten Kultur trennt sich von ihren Werten. Auf der Suche nach einem Vorbild oder Handlungsempfehlungen in unserer post-heroischen Zeit erweist sich der Homo Oeconomicus als schlechtes Beispiel. Kulturelle Ereignisse, wie bestimmte Bräuche und Feste, verlieren ihre ursprüngliche Bedeutung. So kann es nicht verwundern, wenn verkaufsoffene Sonntage als kulturelle Gemeinschaftserlebnisse gefeiert werden. Den wahren Grund für Zusammenkünfte und den Sinn für soziales Engagement haben die meisten Menschen vergessen. Wo viele Menschen leben, geht das Engagement ohne finanzielle Anreize stark zurück. In Berlin üben gerade noch 19 Prozent aller über 14 Jährigen eine ehrenamtliche Tätigkeit aus. Die Mitgliederentwicklung der politischen Parteien ist seit 1990 nur noch negativ. Auch die Mitgliederzahlen von Kirchen, Gewerkschaften und Vereinen sinkt seit dieser Zeit.

Am Ende stellt sich die Frage, wie offen und tolerant wir für andere Bräuche und Kulturen noch sein können, wenn wir keine eigene mehr haben. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur zeigt, dass unsere Werte nicht vorgegeben sind, sondern sich entwickelt haben und auch in Frage gestellt werden können. Die konsumorientierte Lebensweise verlangt aber nach keiner Reflexion. Sie konzentriert sich auf den Konsum von Morgen.

Fazit

Ist der Homo Oeconomicus für dies alles verantwortlich? Sein Grundgedanke sicherlich nicht, aber das, was Menschen aus ihm gemacht haben. Die Einfachheit der menschlichen Grundbedürfnisse und das Verlangen nach echten sozialen Bindungen werden durch den stetig wachsenden Konsumzwang zerstört. Der Egoismus trennt uns von den sozialen Werten und lässt uns vereinsamen. Menschen sehnen sich nach der Identifikation mit Zielen und anderen Menschen. Oft wurde diese Sehnsucht nach Inhalt missbraucht und nun tut es der durch den Homo Oeconomicus verkörperte moderne Mensch. Menschen sind jedoch weder egoistisch geboren noch von Natur aus geizig noch ausschließlich am Konsum interessiert.

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