„Land Grabbing“ – trotz abwertenden Begriffs ein erfolgversprechendes Entwicklungsinstrument!

Im Zuge der Finanz- und Nahrungsmittelkrise 2007/2008 hat sich ein globaler Trend grenzübergreifender Agrarlandkäufe und -pachten entwickelt. Zwar gab es schon vor diesen Krisen Landveräußerungen auf internationaler Ebene (z.B. Landversteigerungen in Lateinamerika in den 1990er Jahren), doch handelt es sich aufgrund des erst in den letzten Jahren enorm angestiegenen Ausmaßes der Landgeschäfte um ein jüngeres Phänomen. Das Projekt „Land Matrix“ berichtet von insgesamt etwa 83,2 Mio. Hektar Agrarland, das seit dem Jahr 2000 seinen Besitzer gewechselt hat. Dies entspricht in etwa der Fläche von der Größe Mosambiks und stellt 1,7% der weltweit zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzungsfläche dar. Die betroffenen Zielländer sind überwiegend Entwicklungsländer in Subsahara-Afrika, Südostasien und Lateinamerika. Während Menschenrechtler und die Medien in der Landnahme meist nichts weiter als eine Ausbeutung der ohnehin schon unterentwickelten Länder sehen – daher auch der negativ behaftete Begriff „Land Grabbing“ –, versuchen internationale Organisationen wie die Weltbank oder die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) institutionelle Rahmenbedingungen zu gestalten, damit diese Zielländer von der Landnahme profitieren können. Dennoch wird die aktuelle Diskussion eindeutig von denjenigen bestimmt, die mögliche negative Auswirkungen in Form von Enteignungen und der Vertreibung der lokalen Bevölkerung befürchten. Eine solche einseitige Betrachtung des Phänomens „Landnahme“ (so der etwas neutralere Begriff) greift jedoch zu kurz, denn die Landnahme bietet ein großes Entwicklungspotential. In Anbetracht einer rasant wachsenden Weltbevölkerung, zunehmender Naturkatastrophen und steigender Nahrungsmittelpreisen scheint eine differenzierte Analyse der Landnahme also umso dringlicher!

Betrachtet man die bei der Landnahme beteiligten Akteure, dann zeigt sich, dass es sich bei den Zielländern hauptsächlich um Entwicklungsländer mit sehr großen kultivierbaren Landflächen handelt, während die Herkunftsländer der privaten und staatlichen Investoren, die das Land erwerben, durch ein hohes Bevölkerungswachstum, eine reiche Kapitalausstattung und nur begrenzt kultivierbare Landressourcen gekennzeichnet sind. Vor allem Länder im arabischen Raum (z.B. Saudi-Arabien) versuchen, durch eine exportorientierte Nahrungsmittelproduktion auf den erworbenen Landflächen die steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln in ihren Ländern zu bedienen. Des Weiteren führt der enorm ansteigende Nahrungsmittelverzehr der wachsenden Mittelschicht bevölkerungsreicher Schwellenländer wie China und Indien zu einer erheblichen Nachfragesteigerung nach Nahrungsmitteln und Tierfutter. Während die Motivation der staatlichen Landinvestitionen weitgehend auf die Ernährungssicherung der heimischen Bevölkerung zurückzuführen ist, hat sich im Privatsektor durch den wachsenden Markt für Biokraftstoffe ein weiterer Anreiz für Landakquisitionen entwickelt. Langfristige Zielvorgaben zur Nutzung von Biokraftstoffen, insbesondere seitens der EU und den USA, sowie ein global abnehmender Erdölbestand verursachen einen steigenden Bedarf an Energiepflanzen. Die Nachfrage nach Agrarland wächst, kann aber im Inland nicht befriedigt werden. Darüber hinaus wird die Ressource Land infolge der Nahrungsmittel- und Finanzkrise zunehmend zum Spekulationsobjekt privater Anleger und finanzieller Institutionen. Der Finanzsektor verspricht sich durch den Aufkauf agrarwirtschaftlich nutzbarer Flächen, die volatilen und riskanten Finanzmärkte zu umgehen und an steigenden Agrarpreisen und Bodenrenten zu partizipieren (siehe Matthias Bickel und Thomas Breuer: „Foreign direct investments in land in developing countries“, Rural 21).

Im Gegensatz zur weitverbreiteten Ansicht, dass es sich bei den genannten Landgeschäften um Landkäufe handeln würde, bestehen diese in Wirklichkeit vor allem aus Landpachten, die Vertragslaufzeiten von bis zu 99 Jahre haben. Die zu entrichtenden Grund- und Bodensteuern sind in der Regel äußerst gering, um ausländische Investoren anzulocken. Diese zielgerichtete Landpolitik der Entwicklungsländer ist motiviert durch die positiven Effekte, die sie sich durch ausländische Investitionen in ihr Land erhoffen (siehe Lorenzo Cotula, Sonja Vermeulen, Rebeca Leonard und James Keeley: „Land grab or development opportunity?“, Kap. 3.3). Im Wesentlichen weisen nämlich die Zielländer von Landkäufen sehr ähnliche Eigenschaften auf, zu nennen sind dabei u.a. Kapitalmangel, eine schwache Infrastruktur, eine niedrige Produktivität im Agrarsektor, geringes Wissen über die Nutzungsmöglichkeiten der vorhandenen Landflächen und ein fehlender Zugang zum Weltmarkt. Infolge der Landveräußerungen erhoffen sich die Entwicklungsländer diese Defizite zu überbrücken, neue Wachstumsimpulse zu erlangen und damit anhaltende Probleme wie die Unterernährung zu überwinden.

Unterzieht man die Landnahme einer neoklassischen Analyse, dann scheint die Hoffnung auf Entwicklungseffekte in den Zielländern durchaus berechtigt zu sein. Im Zuge der Landakquisition zur Nahrungsmittelproduktion entstehen neue Unternehmensniederlassungen (so genannte greenfield investments), durch die es in erster Linie zu Sachkapitaltransfers (z.B. durch neue Maschinen) kommt. In diesem Sinne kann die Landnahme auch als ausländische Direktinvestition betrachtet werden. Nach der neoklassischen Wachstumstheorie wirkt sich die Sachkapitalakkumulation positiv auf das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung aus, sodass sich ein höheres Wirtschaftswachstum ergibt. Neben der reinen Sachkapitalakkumulation bergen ausländische Direktinvestitionen durchaus noch weitere positive Effekte. So findet durch die Anwendung neuer und effizienter Produktionsverfahren ein Technologietransfer statt. Dieser ermöglicht es dem Entwicklungsland, einen höheren Wachstumspfad einzuschlagen. Unterstützend wirkt hierbei auch die Humankapitalakkumulation, denn zur Bedienung der neuen Maschinen und zur Anwendung der neuen Produktionsverfahren müssen die Arbeiter entsprechend ausgebildet werden. Insbesondere in Entwicklungsländern, in denen eine niedrige Humankapitalausstattung vorherrscht, bietet dies der Bevölkerung eine große Chance, durch eine bessere Ausbildung und folglich höheren Lohneinnahmen der Armut zu entfliehen. Eine durch die Landnahme ausgelöste, effizientere Bewirtschaftung von Agrarland in Verbindung mit den genannten Akkumulationseffekten kurbelt das Wirtschaftswachstum an und trägt schließlich zu einer besseren Nahrungsmittelversorgung und damit zur Überwindung der vorherrschenden Armut bei.

Ausländische Investoren helfen auch, den eingeschränkten Zugang vieler Entwicklungsländer zum Weltmarkt aufzubrechen. Durch die Arbeitsteilung der einzelnen Länder sorgt der internationale Handel für die Beseitigung von Versorgungsengpässen bei denjenigen Gütern, die aufgrund geringer oder fehlender Ressourcenausstattung und nicht vorhandenem technischen Wissen national nicht bereitgestellt, aber von der heimischen Bevölkerung nachgefragt werden. Des Weiteren ermöglicht oftmals erst der Außenhandel den produktiven Einsatz vorhandener Inputfaktoren. Wird folglich der Zugang zum Weltmarkt und die Teilnahme am internationalen Handel durch die ausländischen Investoren erleichtert, dann sorgt dies für einen positiven Wohlfahrtseffekt für die Bevölkerung des Entwicklungslands, aber auch des Herkunftsland der Investoren. Schließlich folgt daraus, dass ein höheres Niveau der gesamtwirtschaftlichen Effizienz der verfügbaren Produktionsfaktoren erreicht werden kann. Zudem stellt die Landnahme aus einer globalen Perspektive einen wesentlichen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherung dar. Aufgrund des exportorientierten Wachstums in Bezug auf die Nahrungsmittelproduktion steigt das globale Angebot an Nahrungsmitteln an, während der Preis für diese sinkt. Darüber hinaus können durch die hohe Divergenz der Pro-Kopf-Kapitalausstattungen zwischen den Herkunfts- und Zielländern der Landinvestitionen positive Wirkungen auf die Einkommensverteilungen, deren Ungleichheit abnimmt, ausgemacht werden. Steigt die Entlohnung des Faktors Arbeit im Entwicklungsland an und sinkt relativ dazu diejenige des Kapitals, dann führt dies zu einer gleichmäßigeren Einkommensverteilung, wodurch weitere Wachstumsimpulse entstehen können.

Die neoklassische Analyse der Landnahme zeigt nicht nur auf nationaler und internationaler Ebene positive Effekte für das betroffene Entwicklungsland auf. Vielmehr können auch auf regionaler Ebene weitere Entwicklungspotentiale ausgemacht werden. So zeigt das bis dato einzige neoklassische Landnahme-Modell (siehe Sylvain Dessy, Gaston Gohou und Désiré Vencatachellum: „Land Acquisition in Africa: Threat or Opportunity for Local Populations?), dass unter gewissen Voraussetzungen positive Beschäftigungs- und Wohlfahrtseffekte für die regionale Bevölkerung zu erwarten sind. Darüber hinaus können positive spillover-Effekte infolge der Landnahme entstehen. Ein ausländischer Investor wird  für seine Produktion zwangsläufig auch in die lokale Infrastruktur investieren müssen, da diese größtenteils nur unzureichend vorhanden ist. Dies ermöglicht der regionalen Bevölkerung den Zugang zu lokalen Märkten, Schulen und gesundheitlichen Einrichtungen. Darüber hinaus werden neben den benötigten Investitionen in die lokale Infrastruktur bspw. auch Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser errichtet, um die medizinische Versorgung und die notwendige Ausbildung der Arbeiterschaft sicherzustellen. Die ansteigende Attraktivität des betroffenen Gebietes löst schließlich Agglomerationseffekte aus. Weitere Arbeiter und Unternehmen, sowohl inländische wie auch ausländische, lassen sich in der Region nieder und steigern damit die Wohlfahrt und das Wachstum der Region. Neue Technologien und Produktionsverfahren ermöglichen auch den heimischen Landwirten, ungenutzte und ertragsarme Landflächen effizienter zu bewirtschaften. Die daraus resultierende Produktivitätssteigerung vergrößert den landwirtschaftlichen Output und trägt infolgedessen zu einer verbesserten Nahrungsmittelversorgung der regionalen Bevölkerung bei.

In Anbetracht der aufgezeigten positiven Wirkungsmechanismen von Landnahme-Prozessen entlarven sich die von den Medien geprägten Begriffe wie „Neo-Kolonialismus“ oder „Land Grabbing“ überwiegend als Populismus. Eine einseitige negative Haltung gegen die Landnahme bedeutet auch, den Entwicklungsländern die Chance auf ein enormes Wachstumspotential zu verwehren. Vielmehr sollten seriöse Landnahme-Maßnahmen zum Wohle der ärmsten Länder auf dieser Welt gefördert werden, damit gerade in Zeiten von enormem Bevölkerungswachstum und zunehmenden Naturkatastrophen ein weiteres Absinken in die Armut verhindert und die Ernährungssicherung und damit der Wohlstand der Weltbevölkerung gesichert und sogar verbessert werden kann.


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Kommentare

4 Antworten zu „„Land Grabbing“ – trotz abwertenden Begriffs ein erfolgversprechendes Entwicklungsinstrument!“

  1. Avatar von A. Janowski
    A. Janowski

    Aus ordnungstheoretischer Sicht wäre eine Analyse vorteilhafter Vertragscharakteristika oder sonstiger wünschenswerter Institutionen innerhalb des Instruments “Landnahme” (vlt. besser: externe Landnutzung?) wünschenswert. Gibt es neben den ordnungsblinden neoklassichen Skizzen auch solche institutionenökonomische Analysen zum Thema?

    1. Avatar von Christian Fischer
      Christian Fischer

      Hallo Herr Janowski,
      danke für Ihren Kommentar. An der Uni Freiburg hat sich eine interdisziplinäre Forschergruppe gebildet, die dieses Thema auch aus institutionenökonomischer Sicht analysieren wird (http://www.wipo.uni-freiburg.de/forschung/rg-landgrabbing). Zudem möchte ich auf das Master-Seminar im kommenden WiSe hinweisen (http://www.wguth.uni-freiburg.de/bilderunddateieb/data/Interdisziplinaeres-master-seminar-pdf), in dem die Landnahme aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden soll. Erste wünschenswerte und von der UN ratifizierte institutionelle Rahmenbedingungen, innerhalb derer eine vorteilhafte Landnahme stattfinden soll, gibt es bereits. Dies sind die FAO-Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests (http://www.fao.org/docrep/016/i2801e/i2801e.pdf). Ein Paper zu den Guidelines finden Sie hier (http://humanrights-business.org/files/landgrabbing_final_1.pdf). Es gibt bereits Paper mit dem Schwerpunkt auf der institutionellen Betrachtung der Landnahme, bspw. http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/Yale%20April%202010%20Borras_Franco%20CoC%20paper.pdf und zur Vertragsgestaltung http://pubs.iied.org/pdfs/12568IIED.pdf. Gerne verweise ich auch auf den (in ein paar Tagen folgenden) Blog-Beitrag von Matthias Bujko, der sich mehr mit den institutionellen Aspekten der Landnahme beschäftigen wird.

  2. Avatar von A. Janowski
    A. Janowski

    Haben Sie herzlichen Dank, Herr Fischer, für die zügigen Literaturhinweise! Den Beitrag von Herrn Bujko werde ich sicher lesen.

  3. Avatar von Kathi
    Kathi

    Hallo.
    Ich möchte monieren, dass Sie einen “verbesserten Zugang zum Weltmarkt” per se als vorteilhaft darstellen. So wie mit Handelsankommen der globale Warenaustausch momentan geregelt ist, ist ein Anschluss an den Weltmarkt auch oft nachteilig. Hochwertige weiterverarbeitet Produkte erliegen hohen Einfuhrzöllen im globalen Norden, nur Rohprodukte, die ein geringes Wertschöpfungspotenzial haben, können aus dem globalen Süden exportiert werden. Ein verbesserter Zugang zum Weltmarkt zementiert damit das Nord-Südgefälle weiter. Die Handelsabkommen tragen doch letztlich ihren Teil dazu bei, dass der globale Süden wirtschaftlich schlecht dar steht.
    Aber eigentlich sollte ich das Ihnen doch nicht sagen müssen?
    Ich würde mich über einen Austausch mit Ihnen freuen.

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