Frust im VWL-Studium? – Ein Plädoyer für Wirtschaftsgeschichte

Während ökonomische Fragen und Zusammenhänge immer komplexer werden, wächst die Unzufriedenheit über das Studium der Volkswirtschaftslehre. Immer weniger Studierende haben den Eindruck, die richtigen Instrumente für das Verständnis der wirtschaftlichen Realität zu bekommen. Ein Einblick in die Geschichte der Wirtschaft und der Wirtschaftswissenschaften kann hier Abhilfe verschaffen.

Spätestens seit der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise, in der die Ökonomie insgesamt einen starken Vertrauensverlust erlitten hat, wird die Debatte über den Zustand der Volkswirtschaftslehre an deutschen Universitäten wieder intensiv geführt. Dabei wird eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Struktur des Fachs deutlich. Ein wiederkehrender Kritikpunkt ist die Einseitigkeit des VWL-Studiums, die sich in der starken Dominanz mathematisch-abstrakter Modellwelten sowie des „neoklassischen Mainstreams“ zeige. Ein weiterer häufiger Vorwurf ist, dass das Studium nicht zum Reflektieren, sondern allein zum Reproduzieren anrege und realitätsfern sei. Für mehr Vielfalt im Wirtschaftsstudium sind daher verschiedene Initiativen entstanden, unter anderem das „Netzwerk Plurale Ökonomik“ in Deutschland.

Bei dieser Kritik stellt sich zunächst die Frage, was der so genannte  „neoklassische Mainstream“ eigentlich ist und welche Theorien er beinhaltet. Oft wird damit das in die Kritik geratene Modell des „Homo Oeconomicus“ in Verbindung gebracht. Aber was genau ist der Anspruch der Theorien, mit denen in der VWL gearbeitet wird? Und warum dienen sie weiterhin als Handwerkszeug in der Ökonomie, wenn sie doch anscheinend so offensichtliche Mängel aufweisen?

Um diese Fragen angemessen beantworten zu können, ist die Beschäftigung mit der Wirtschafts- und Ideengeschichte hilfreich. Nur so wird nachvollziehbar, in welchem Kontext ökonomische Theorien und Ansätze entstanden sind und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Dies führt zu einem besseren Verständnis für die bisherigen wirtschaftswissenschaftlichen Errungenschaften. So können die Studierenden wieder den Sinn der aktuell gelehrten Theorien erkennen, anstatt sie pauschal abzulehnen.

Ein tieferes historisches Verständnis von Ursprung und Kontext der ökonomischen Theorien würde folglich zu einer konstruktiveren und differenzierteren Kritik verhelfen, die vor der Einleitung eines Paradigmenwechsels, wie er heute gefordert wird, notwendig ist. Außerdem würde deutlich werden, dass viele ökonomische Fragen, die unsere Gesellschaft in dieser Zeit beschäftigen, bereits zuvor von Ökonomen in verschiedenen historischen Umständen behandelt wurden und wir von ihren Ansätzen auch heute noch lernen können. Das Studium der Wirtschaftsgeschichte führt den Studierenden vor Augen, dass ökonomische Theorien im politischen und historischen Kontext ihrer Zeit zu verstehen sind. Es erhöht bei ökonomischen Fragestellungen die Sensibilität für den politischen und sozialen Kontext und hilft, aktuelle Probleme in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

Ein fundiertes Wissen über die Wirtschaftsgeschichte ermöglicht es außerdem, die Öffentlichkeit über die Gefahr von zu einfachen wirtschaftlichen Lösungen aufzuklären. Ein treffendes Beispiel hierfür ist der Beitrag des Freiburger Ökonomieprofessors Oliver Landmann, der in einem Interview in der Badischen Zeitung Trumps außenwirtschaftliche Argumente mithilfe der zweihundert Jahre alten berühmten Theorie der komparativen Kostenvorteile des britischen Nationalökonomen und Außenhandelstheoretikers David Ricardo (1772-1823) klar und einfach widerlegt.

Somit wäre die Einführung der Pflichtfächer Wirtschafts- und Ideengeschichte eine wesentliche Maßnahme zur Verbesserung des ökonomischen Verständnisses und damit der Zufriedenheit der Studierenden. Darüber hinaus würde sich diese Maßnahme im Gegensatz zur Entwicklung und Akkreditierung neuer Studiengänge einfach und rasch umsetzen lassen und somit auch den Ansprüchen einer Kosten-Nutzen-Analyse genüge tragen, die bei Ökonomen nicht fehlen darf.

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