Von Doha über Bali nach Doha: Die Wiedergeburt der WTO

Weltweit war die Überraschung groß. Denn der tot geglaubten WTO gelang es im vergangenen Dezember auf Bali, ein Zwischenabkommen für die seit über einem Jahrzehnt festgefahrene Doha-Runde zu erreichen. Das Abkommen von Bali kommt genau zur richtigen Zeit, um der immer noch schwächelnden Weltwirtschaft auf die Beine zu helfen. Zudem ist dieses Abkommen der erste Handelsvertrag seit der Gründung der WTO vor 18 Jahren. Im Folgenden werden die bisherigen Entwicklungen, die nun in Bali einen ersten Höhepunkt erreicht haben, nachgezeichnet und die großen Vorteile des Abkommens für einen freieren Welthandel und damit für die weltweite Wohlfahrt erläutert.

Die Doha-Runde – eine unendlich erfolglose Geschichte?

Nach den langwierigen, aber letztlich erfolgreichen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) begann die in diesem Rahmen neu gegründete Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2001 ihre erste eigene Welthandelsrunde in Doha, Katar. Der so genannten Doha-Runde ist seitdem kein nachhaltiger Erfolg vergönnt gewesen und mehr als einmal galt sie als gescheitert. Dieses (Fast-)Scheitern ist insofern überraschend, als Ökonomen prognostizieren, dass der Welthandel nach einer Einigung um 200 bis 800 Milliarden Euro wachsen könnte.

Die zentralen Ziele der Doha-Runde bestanden und bestehen dabei darin, die Marktöffnung der Mitgliedsstaaten voranzutreiben, die Welthandelsordnung zu stärken und die Entwicklungsländer besser in die Weltwirtschaft zu integrieren. Um diese Ziele realisieren zu können, sollten die Agrarzölle abgebaut, der Dienstleistungssektor liberalisiert und Anti-Dumping-Regeln festgelegt werden. Was für Ökonomen unmittelbar einleuchtend erscheint, war jedoch politisch nicht einstimmig durchsetzbar. Sehr schnell bildeten sich in den Verhandlungen zwei zentrale Streitthemen. Zum einen forderten die Industrienationen, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Zölle für Industrieprodukte senken sollten. Zum anderen verlangten die Entwicklungsländer von den USA, Japan und der Europäischen Union, ihre Agrarsubventionen zu kappen, damit die Länder der Dritten Welt bessere Exportchancen erhalten. Die betroffenen Ländergruppen verhakten sich in den Verhandlungen über diese Themen so sehr, dass der damalige WTO-Generaldirektor Pascal Lamy die Verhandlungen im Jahre 2006 suspendierte. Obwohl die Verhandlungen im Jahre 2007 wieder aufgenommen wurden, konnte die Doha-Runde bis heute zu keiner Übereinkunft gebracht werden.

Der Hintergrund für die bisherige Erfolglosigkeit und damit das Verpassen von weltweiten Wachstumschancen ist (auch) in einer Besonderheit des WTO-Regelwerks zu suchen, genauer im Prinzip des „Single Undertaking“. Dieses Prinzip besagt, dass Beschlüsse zu einzelnen Teilaspekten einer Handelsrunde immer erst dann verbindlich werden, wenn ein Konsens zu allen Verhandlungsthemen besteht. Angesichts der Tatsache, dass die Interessen von nicht weniger als 160 Mitgliedsstaaten bei einer Handelsrunde koordiniert werden müssen, um letztlich zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, ist die Erklärung für das bisherige Scheitern der Doha-Runde vor allem in seinem allumfassenden Anspruch zu suchen. Je mehr Themen zu behandeln sind, desto größer ist naturgemäß die Gefahr der Uneinigkeit und des Scheiterns.

Das (Teil-)Abkommen von Bali

Auch unter den Mitgliedsstaaten und im WTO-Sekretariat wurde man sich im Laufe der Zeit dieser Problematik bewusst und begann, Teilaspekte aus der Doha-Runde herauszulösen, von denen man glaubte, dass man sich darüber leichter einigen könne. Das bahnbrechende Bali-Abkommen, das am 7. Dezember 2013 verabschiedet wurde und das bis zum Herbst 2015 ratifiziert werden soll, ist der erste Versuch, mithilfe von Teilerfolgen bei ausgewählten Fragestellungen die Doha-Runde wieder zum Leben zu bringen. Doch selbst an den vermeintlich einfachen Themen, die im Bali-Abkommen gebündelt wurden, wären die Verhandlungen beinahe gescheitert, da vor allem Indien und Kuba Sonderwünsche anmeldeten, die nur nach zähen Verhandlungen durch Kompromissvorschläge gelöst werden konnten.

Die letztlich doch noch erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen werden in der Zukunft vor allem zu zahlreichen wichtigen Vereinfachungen in der Abwicklung des internationalen Handels führen. Die erste Säule des Abkommens zielt insbesondere auf die Reduzierung der Transaktionskosten des Handelns ab, indem die Bürokratie in der Zollabwicklung deutlich reduziert werden soll. Hierzu werden alle WTO-Mitgliedsstaaten zukünftig verpflichtet, jegliche relevanten Informationen über ihren Zollverkehr preiszugeben und dann entsprechende Vereinfachungen vorzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass jedes dritte deutsche Unternehmen über erhebliche Handelshemmnisse im Ausland klagt, stellt diese Regelung eine deutliche Erleichterung dar, die einen Umfang von 10 bis 15 Prozent der Kosten für den grenzüberschreitenden Warenverkehr einzusparen helfen wird. Zusammen mit den anderen Bestandteilen des Bali-Abkommen wird Deutschland, so prognostiziert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Wachstumsimpulse in Höhe von 60 Milliarden Euro innerhalb der kommenden fünf Jahre realisieren können.

Besonders wichtig für das erstmalige Zustandekommen eines Handelsabkommens unter der Ägide der WTO waren jedoch die weiteren Säulen des Abkommens, bei denen die Industrienationen nicht die (Haupt-)Nutznießer sind und die zum Teil schmerzhafte Einschnitte bedeuten. Im Abkommen wurde festgelegt, dass die ärmsten Entwicklungsländer einen besseren Zugang zu den Märkten der Industrie- und Schwellenländer erhalten sollen, dass die Entwicklungshilfe im Bereich des Handels verstärkt werden soll und dass Agrarsubventionen reduziert werden sollen. Auch wenn Kritiker bemängeln, dass diese Zugeständnisse zu gering ausfallen, stellen sie doch einen wichtigen Durchbruch dar. Zum einen wird die Tür für eine stärkere und selbstbewusstere Position der Entwicklungsländer in den zukünftigen Verhandlungen im Rahmen der weiteren Doha-Teilrunden geöffnet, zum anderen signalisieren die Industrie- und Schwellenländer damit ihre Bereitschaft, die Interessen der Entwicklungsländer ernster zu nehmen. Dies sind bedeutende Schritte für die erste abgeschlossene Verhandlungsrunde nach sehr langer Zeit.

Was Bali der Weltwirtschaft bringen wird

Aus ordnungspolitischer Sicht ist das wichtigste Ergebnis des Bali-Abkommens, dass der Wettbewerb der Verbraucher und Unternehmen auf der globalen Ebene gestärkt wird, wodurch eine kostengünstige und bedarfsgerechte Versorgung mit Gütern und Produktionsfaktoren überhaupt erst ermöglicht wird. Die gesteigerte Effizienz durch eine verbesserte räumliche Allokation sorgt für ein höheres Wachstum.

Darüber hinaus tritt ein zweiter, ebenfalls für die wirtschaftliche Entwicklung wichtiger Wettbewerbseffekt ein. Nicht nur Güter und Produktionsfaktoren werden international mobiler, sondern auch Steuerbasen, also steuerzahlende Arbeitnehmer und Unternehmen. Dies setzt die Nationalstaaten, die ihr Steueraufkommen nicht verlieren möchten, unter Druck, die Rahmenbedingungen für ihre wichtigsten Steuerzahler attraktiv zu machen. Zugleich entsteht ein Anreiz, durch eine weitere konsequente Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen neue Steuerzahler anzulocken. Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer sind hierdurch in gleicher Weise herausgefordert. Während die Industrieländer vor allem ihre steigenden Staatsausgaben zügeln müssen, um weiterhin mit attraktiven Steuersätzen punkten zu können, sind es bei den Schwellen- und Entwicklungsländern eher Fragen der politischen Stabilität, der Sicherheit von Eigentumsrechten oder der Reduzierung von Korruption, die zu beantworten sind. In jedem dieser Fälle verbessert sich die wirtschaftliche Allokation und steigert damit über den Wettbewerbskanal die nationale und globale Wohlfahrt.

In der Konsequenz können neben einem um viele zig Milliarden Euro gesteigertem Welthandel auch enorme Zuwächse bei den Arbeitsplätzen erwartet werden. Schätzungen gehen von bis zu 20 Millionen neuen Arbeitsplätzen allein durch das Bali-Abkommen aus. Vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen Weltwirtschaftslage und der Eurokrise kommen diese Arbeitsplätze wie gerufen.

Was Bali für die WTO bedeutet

Neben den genannten unmittelbar positiven Folgen für den Welthandel hat das Bali-Abkommen noch eine weitere, sehr viel wichtigere Dimension. Mit dem Erfolg von Bali steigt die Zuversicht, dass auch die Doha-Runde endlich zu einem Abschluss kommen wird, selbst wenn sie dafür in weitere Teilrunden zerlegt werden muss. Das lange Siechen der Doha-Runde, die sich seit mehr als einer Dekade erfolglos hinzieht, hat der WTO einen erheblichen Bedeutungsverlust beschert. Es bestanden zunehmend Zweifel, ob die WTO überhaupt den Welthandel voranbringen könne oder ob sie nicht ein zahnloser (und damit überflüssiger) Tiger sei. Durch die Einigung auf Bali konnte die WTO diesem Eindruck nachhaltig entgegentreten. Zu den großen Gewinnern von Bali gehört deshalb auch die WTO selbst. Wäre die WTO bei dieser Konferenz gescheitert, hätte sie ihre Reputation als internationaler Schlichter in Handelsstreits und als Architekt und Wächter eines freieren Welthandels auf Dauer verspielt.

Folglich hat das Bali-Paket die WTO vor einer existenziellen Krise gerettet. Wäre es zu dieser Krise gekommen, dann wäre die einzige wirklich wichtige internationale Koordinierungsstelle für den Welthandel nicht mehr handlungsfähig gewesen. Dies hätte dramatische Folgen gehabt, da seit Beginn der Finanzkrise der offene und versteckte Handelsprotektionismus stark zugenommen hat. Die WTO und ihr Vorgänger, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen GATT, waren und sind dagegen Garanten für den bis heute expansiven und wohlfahrtssteigernden Welthandel und damit für den „Wohlstand der Nationen“.

So hat die globale Gemeinschaft der Staaten allen Grund, das Bali-Abkommen zu feiern. Das Abkommen hat einerseits die WTO aus ihrer Zwangslage befreit und revitalisiert und wird andererseits viele Arbeitsplätze schaffen und die Wohlfahrt der Menschen steigern. Ganz wichtig ist dabei, dass hiervon auch die Entwicklungsländer profitieren, die zeigen konnten, dass sie langsam, aber sicher zu ernsthaften Verhandlungspartnern werden, auf die die Industrienationen Rücksicht nehmen (müssen). Zukünftige Handelsrunden werden dies zeigen. Sie werden schwieriger, erscheinen – dank Bali – aber keine unüberwindlichen Hindernisse mehr zu sein.

Die WTO darf sich nun nicht auf dem Erfolg von Bali ausruhen, sondern muss schnellstmöglich weitere Verhandlungen beginnen, um die Doha-Agenda zum Abschluss zu bringen. Dabei ist es hilfreich, dass in der WTO die Erkenntnis gereift ist, dass man sich mit dem Versuch eines „großen Wurfs“, nämlich der Abarbeitung von 20 höchst diffizilen Themen innerhalb einer einzigen Handelsrunde, schlichtweg übernommen hat. Nur durch die Aufteilung der Doha-Runde in Teilabkommen wird es zu einem Gesamtabschluss von Doha kommen. WTO-Generalsekretär Roberto Azevêdo brachte diese Erkenntnis auf einen einfachen Nenner: „Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die WTO geliefert. (…) Das Bali-Paket ist nicht das Ende, es ist der Anfang.


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