Die Digitalisierung schreitet voran und verändert die Märkte vollständig. Insbesondere die Verlagerung des Marktes ins Internet stellt die Menschen in den Industrienationen vor ungeahnte Herausforderungen. Wie werden auf digitalen Märkten Werte generiert? Gibt es „Wohlstand für alle“, wie ihn Ludwig Erhard einst anstrebte, in dieser neuen Welt?
Egal, ob man seine Jogging-Strecke trackt, auf dem Handy Karten spielt oder die täglichen Nachrichten lesen möchte: Für alles gibt es die passende Internetseite oder eine von unzähligen Apps im Store. Schnell installiert – natürlich kostenlos. Doch sind diese Angebote das wirklich? Nein! Nur weil Apps oder mobile Dienste kein Geld kosten, macht sie das noch lange nicht kostenlos.
Man klickt das nervige Cookies erlauben-Popup weg, man wählt Zustimmen, weil es so am einfachsten ist, und schon hat man der App freien Zugriff auf Kamera, GPS und sämtliche Kontakte gewährt – und das alles, damit sich die App benutzen lässt. Das Einloggen ist zumeist nur per Facebook oder mit dem Google-Account möglich – so wissen die Anbieter stets, wer sich gerade angemeldet hat. Kurzum: Jede und jeder Einzelne bezahlt sehr wohl für die Nutzung von Dienstleistungen im Internet – mit privaten und privatesten Daten!
Was bedeutet das nun aber für die Marktwirtschaften heutiger Prägung? Ein Blick zurück: In den 1950er Jahren propagierte der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“, der durch die Soziale Marktwirtschaft erreicht werden sollte. Die Preise bildeten sich selbstständig auf analogen Güter- und manchmal auch Dienstleistungsmärkten und nur wenn diese Märkte versagten, sollte der Staat regulierend eingreifen. Wie anders sehen diese Dinge auf den heutigen digitalen Märkten aus! Was ist das für ein Preismechanismus, wenn sich die Verbraucherinnen und Verbraucher gar nicht darüber bewusst sind, womit sie eigentlich bezahlen und wie viel? Wie viel ist das Wissen wert, dass man zweimal pro Woche joggen geht? Und wie verändert sich der Wert dieser Information, wenn zusätzlich die Kilometeranzahl oder die präzise Laufstrecke bekannt sind? Der einst funktionierende Preismechanismus, der in den Worten des Freiburger Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich-August von Hayek alles relevante Wissen über die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Individuen zusammenführt und damit ihre Wohlfahrt maximiert, ist bei den Konsumenten zu einem Blindflug verkümmert.
Diese Tatsache wird vor dem Hintergrund einer weiteren Entwicklung zu einem echten Problem, denn dem fehlenden Wissen auf der Nachfrageseite steht ein umso größeres Wissen auf der Anbieterseite gegenüber. Und dort tummeln sich nicht etwa viele kleine Firmen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen, z.B. mit besonders datensicheren Angeboten, sondern fünf Internetgiganten, die so groß und mächtig sind, dass es unsere Vorstellungskraft sprengt. Die „Big Five“ Apple, Amazon, Facebook, Microsoft und Google haben zusammen einen Börsenwert von 4,85 Mrd Euro – im Vergleich dazu beträgt die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands, das Bruttoinlandsprodukt, gerade einmal 3,33 Mrd Euro.
Für Ludwig Erhard war die Zerschlagung von Kartellen und das Verhindern von Monopolen der wichtigste Grund für den Staat, regulierend in den Markt einzugreifen, um auf der Anbieterseite des Marktes einen scharfen Wettbewerb zu erreichen. Ein schwieriges Unterfangen, wenn der Marktanteil Googles bei den Suchmaschinen, die auf Mobiltelefonen genutzt werden, in Deutschland bei 97,6 Prozent liegt, zugleich aber dringend geboten. Wie kann es sein, dass Facebook nahezu ungehindert WhatsApp und Instagram aufkauft und damit seine Macht massiv ausdehnt? Die Internetgiganten sind so groß geworden, dass sie sich jeglicher Kontrolle entziehen können. Wohlstand für alle? Fehlanzeige! Neue Firmen trauen sich gar nicht erst in den Markt oder werden einfach aufgekauft, die Konsumenten wissen ohnehin nicht, wie ihnen geschieht.
Da die Bedeutung digitaler Märkte weiter zunehmen wird, besteht Handlungsbedarf. Zwei Dinge müssen nun dringend passieren. Zum einen muss die Bedeutung der digitalen Währung „Daten“ stärker ins Bewusstsein rücken. Es reicht nicht aus, Pop-Up-Fenster verpflichtend einzuführen, mit denen auf die Nutzung von Cookies hingewiesen wird. Denn was soll man anderes tun, als die Cookies letztlich zu akzeptieren, wenn man anders wichtige Internetfunktionen nicht nutzen kann? Wer momentan an der heutigen Gesellschaft teilhaben will, hat keine Wahlfreiheit, seine privaten Daten zu schützen. Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich des Werts ihrer privaten Daten bewusst sind, werden dagegen selbstbewusst Gegenleistungen dafür einfordern und Anbieter gegeneinander ausspielen – zum eigenen Wohl und zum Wohle aller. Zum anderen muss die Monopolstellung der Internetgiganten massiv beschränkt werden, denn dies erleichtert den Anbieterwechsel und verschärft den Wettbewerb deutlich. Da dies auf nationaler Ebene kaum möglich sein wird, muss hier die EU aktiv werden.
Mit diesen Änderungen können die Grundlagen für einen „Wohlstand für alle“ (und nicht nur für Fünf) endlich auch in die digitale Zukunft überführt werden.
Hallo Tamara 🙂 danke für deinen spannenden Artikel… angesichts der wachsenden Macht von Google, Amazon, Facebook und Co ist es, glaube ich, dringend notwendig, neue Instrumente und Kriterien zu entwickeln, die insbesondere auch auf digitale Plattformunternehmen anwendbar sind. Besonders wichtig scheint das, weil gerade Unternehmen wie Facebook oder Google nicht nur das Kaufverhalten, sondern auch das Welt- und Selbstbild der Konsumenten – und damit das individuelle und gesellschaftliche Leben – maßgeblich beeinflussen können. Politiker scheinen dies, wie die Diskussionen über eine Digitalsteuer oder den geplanten Digital Marktes Act (DMA) zeigen, langsam zu realisieren. Bleibt nur zu hoffen, dass theoretischen Debatten auch Taten folgen!