Ihr wollt Wachstum? Dann macht eure Hausaufgaben!

Was braucht Europa in der Krise am Dringendsten? Hunderttausende junge Menschen vor allem in Südeuropa würden darauf wohl spontan antworten: Arbeitsplätze und Wachstum! Die Rufe nach politischem Handeln, um der katastrophalen Situation der Jugend in Europa zu begegnen, werden daher immer lauter. Die politischen Vorschläge gehen dabei in aller Regel nicht über Rufe nach immer neuen Konjunkturpaketen und Milliardenspritzen hinaus. Dabei bräuchte Europa etwas ganz anderes: Wachstum durch Wettbewerb!

Europas politische Eliten diskutieren aktuell mit Inbrunst über eine zweifellos wünschenswerte Freihandelszone zwischen Europa und den USA. Durch die Abschaffung von Zollschranken und Handelsbarrieren soll ein immer besser integrierter Wirtschaftsraum mit zusätzlichen Exportmöglichkeiten entstehen, der diesseits und jenseits des Atlantiks das Wachstum kräftig ankurbeln soll. Dieser Plan klingt vertraut – die Europäische Union ist auch zu diesem Zweck gegründet worden.

Was Europas Bürger und Politik aber aus den Augen verloren haben, sind der Handel innerhalb Europas und die Wachstumschancen, die sich daraus ergeben. In der politischen Debatte um Wachstum in Europa fallen die immensen ungenutzten Wachstumschancen, die uns der Europäische Binnenmarkt bietet, fast völlig unter den Tisch. Dabei liegen durch eine verbesserte Freizügigkeit für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital über die Grenzen von Europas Staaten hinweg enorme langfristige Wachstumschancen direkt vor unseren Augen. Michael Wohlgemuth hat in einem Beitrag im Ökonomenblog auf eine Studie des Think Tanks „Open Europe“ hingewiesen, der zufolge Europa alleine durch die vollständige Umsetzung der (längst beschlossenen) Dienstleistungsrichtlinie, die den Binnenmarkts für Dienstleistungen vollenden würde, ein Wachstumspotential von knapp 300 Milliarden Euro(!) heben könnte. Größenordnungen also, wie sie kurzfristige schuldenfinanzierte Konjunkturspritzen niemals erreichen werden.

Die fehlende Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ist dabei nur eines von vielen Beispielen, wie die Nichtvollendung des europäischen Binnenmarkts zusätzliches nachhaltiges Wachstum in Europa verhindert. Wie bei der Dienstleistungsrichtlinie sind die entsprechenden Beschlüsse fast immer längst gefasst, doch die nötigen Schritte für einen gemeinsamen offeneren Markt in Europa wurden und werden nicht von allen Staaten eingeleitet. Eine neue Studie der Konrad Adenauer Stiftung bestätigt dies nun auf ein Neues. Sie verweist u.a. auf die fehlende Umsetzung der vollständigen Personenfreizügigkeit, die dadurch ausgebremst wird, dass sich immer noch Mitgliedsstaaten weigern, Berufsabschlüsse grenzüberschreitend anzuerkennen.

Dienstleistungen und Personenfreizügigkeit sind zwei Beispiele eines Umsetzungsstaus, der mittlerweile dazu geführt, dass über 700 Vertragsverletzungsverfahren von der Europäische Kommission gegen verschiedene Mitgliedsstaaten geführt werden, die gegen die gemeinsamen Binnenmarktregeln verstoßen und damit die beschlossene Umsetzung des Binnenmarktes verzögern. Diese Verstöße blockieren die Chancen auf Wachstum, die der freie Handel innerhalb Europas bietet. Um den Binnenmarkt zu vollenden, genügt es eben nicht, die Beschlüsse nur zu fassen. Der Binnenmarkt ist dann und erst dann vollendet, wenn alle Beschlüsse auch tatsächlich umgesetzt sind!

Angesichts der Wachstumschancen, die alleine durch eine Vollendung des Binnenmarktes im Dienstleistungsbereich gehoben werden könnten, erscheint diese Nichtumsetzung geradezu sträflich. Gerade auch im Bereich der Personenfreizügigkeit würde ein nicht nur beschlossener, sondern auch tatsächlich umgesetzter Binnenmarkt besonders für die jungen Menschen in Südeuropa völlig neue Chancen eröffnen. Er wäre die politische Antwort auf die Forderungen dieser Menschen und würde helfen, die jetzige Krise schneller und nachhaltiger zu überwinden.

Doch warum nutzen Europas Regierungen die Wachstumschancen des Binnenmarktes nicht, indem sie die gefassten Beschlüsse auch umsetzen? Diese Frage lässt sich nur politökonomisch beantworten. Denn im Gegensatz zu Konjunkturpaketen wäre Wachstum durch den Binnenmarkt zuallererst Wachstum durch Wettbewerb und ein solcher wäre für manche der europäischen Wirtschaften zunächst durchaus schmerzhaft. Und doch ist dieser Weg zu mehr Wachstum der einzig richtige und nachhaltige. Walter Eucken hat diese Richtung bereits vor langer Zeit vorgegeben: Wachstum durch Freihandel in einem umgesetzten Binnenmarkt ist nicht zu trennen von der Idee des Wachstums und der Weiterentwicklung durch Wettbewerb. Der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit führt zwangsläufig dazu, dass Länder in eben diesen Feldern im Wettbewerb bestehen müssen. Sie gewinnen in diesem Wettbewerb durch eine fundierte Ausbildung ihrer Arbeitskräfte, durch neue Produkte und bessere Technologien und werden so zu einem gefragten Standort und zum Ziel von Investitionen. Dies ist die Grundlage für nachhaltiges Wachstum!

Mehr denn je scheint es allerdings so, als würden Europas Regierungen genau diesen Wettbewerb im Binnenmarkt vermeiden wollen. Denn – das liegt in der Natur der Sache – für eine schwächelnde heimische Wirtschaft wird dieser Wettbewerb zunächst unangenehm sein. Daher scheint es auf kurze Sicht bequemer zu sein, die heimische Wirtschaft nicht komplett dem europäischen Wettbewerbsdruck auszusetzen und so vor schmerzhaften Wirkungen des Binnenmarktes zu schützen. Man ignoriert oder blockiert also Maßnahmen zur Öffnung des nationalen Marktes in der Hoffnung, dass die eigenen Unternehmen sich besser entwickeln und vielleicht so sehr an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, dass sie sich eines Tages auf wundersame Weise dem internationalen Wettbewerb werden stellen können. Die Ordnungspolitik hat dagegen schon vor langer Zeit gezeigt, dass fehlender Wettbewerb zu Bequemlichkeit und Ineffizienz – und damit zum genauen Gegenteil von Wettbewerbsfähigkeit – führt!

Kurzfristig mag eine solche Strategie gegen den Binnenmarkt zwar helfen, Wahlen im Inland zu gewinnen, aber langfristige Wachstumschancen daheim und für ganz Europa, die der Binnenmarkt gerade durch den Wettbewerb bietet, werden so zunichte gemacht. Die Leidtragenden dieser Politik sind nicht zuletzt die jungen Menschen in (Süd-)Europa, die wie keine andere Generation von einem vollendeten Binnenmarkt und einem wettbewerbsfähigen Europa profitieren würden. Sie könnten Arbeitsplätze in einer wettbewerbsfähigen heimischen Wirtschaft vorfinden oder die Freiheit genießen, ohne bürokratische Schranken in jedem anderen Land Europas zu arbeiten.

Nun sind die Regierungen der europäischen Staaten am Zuge. Es genügt nicht, immer weiter Konjunkturpaketen und Milliardenhilfen zu fordern. Und auch die transatlantische Freihandelszone ist mehr Kür als Pflicht. Was jetzt ansteht, ist, sich mit Europas Binnenmarkt zu beschäftigen. Beschlüsse, die zu mehr Wachstum führen, liegen längst auf allen Kabinettstischen Europas und warten auf ihre Umsetzung. Deswegen heißt das Gebot der Stunde: Wenn ihr Wachstum wollt, dann macht eure Hausaufgaben!


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