Falsche Annahmen über Ökonomen: Effizienz ist wichtig, aber nicht alles

Ökonomen gelten dem Rest der Bevölkerung als Verfechter des gesellschaftlichen Zwangs, dass alles und jeder effizient sein muss. Dabei wissen die meisten Menschen gar nicht, was sich hinter dem Effizienzbegriff der Ökonomen verbirgt und warum und unter welchen Annahmen er als erstrebenswert gilt.

Das entscheidende Element einer jeden ökonomischen Analyse ist, dass Ökonomen am Anfang ihrer Untersuchung die Annahmen darlegen, mit denen die letztlichen Ergebnisse hergeleitet werden. Ein Beispiel aus aktuellem Anlass: Für die Berechnung der Kosten durch die Flüchtlingswelle der letzten Jahre ist es maßgeblich, wie lange es im Durchschnitt braucht, bis die Flüchtlinge einen Arbeitsplatz in Deutschland finden. Je eher dies geschieht, desto eher werden die Flüchtlinge von Leistungsempfängern zu Steuerzahlern, was die Kosten senkt. Unterschiedliche Studien kommen zu unterschiedlichen Resultaten, weil sie sich zumeist hinsichtlich dieser zentralen Annahme unterscheiden. Genau aus diesem Grund ist der Ausdruck „gegeben die Annahme, dass…“ einer der wichtigsten und am häufigsten gebrauchten in den Wirtschaftswissenschaften.

In der Welt der Ökonomen – zumindest im so genannten neoklassischen Mainstream – gibt es jedoch eine fundamentale Annahme, die besonders viel Stoff für Vorwürfe und Missverständnisse birgt. Es ist die Annahme, dass eine „effiziente“ Allokation der Ressourcen anzustreben sei. Setzt man das Wort „Allokation“ mit „Verteilung“ gleich, was nicht unüblich ist, dann erscheint es leicht, den Ökonomen jegliches Gerechtigkeitsbewusstsein abzusprechen, denn wo bleiben in einer auf Effizienz getrimmten Welt die Armen und Schwachen? Diese Frage ist jedoch falsch gestellt, denn die hier unterstellte Vorstellung von Effizienz entspricht nicht dem, was Ökonomen darunter verstehen.

Wenn Volkswirte von Effizienz sprechen, dann meinen sie die so genannte „Pareto-Effizienz“, benannt nach dem berühmten italienischen Ökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto. Sie definiert eine Verteilung als effizient, sofern kein Mitglied der Gesellschaft mehr bessergestellt werden kann, ohne ein anderes Mitglied schlechter zu stellen. Ein Beispiel zeigt die Idee auf einfache Weise: Die Gesellschaft besteht dabei aus Max und Moritz und es gilt, zehn Süßigkeiten möglichst effizient auf die beiden zu verteilen. Eine Möglichkeit wäre es, dass Max alle Süßigkeiten besitzt und Moritz keine; eine andere, dass Max und Moritz jeweils fünf Süßigkeiten erhalten. Auch wenn es auf den ersten Blick überraschen mag, sind beide Allokationen pareto-effizient, denn weder die erste noch die zweite Verteilung der Süßigkeiten kann so verändert werden, dass sowohl Max als auch Moritz mindestens genauso zufrieden ist wie vorher. Vor allem der erste Fall ist aufschlussreich: Gibt Max eine seiner zehn Süßigkeiten an Moritz ab, der nichts hat, dann stellt sich nur Moritz besser, während Max weniger hat.

Die Kritik an den Ökonomen setzt häufig an diesem Punkt an, denn beide Verteilungen werden als „gleichwertig“ angenommen, weil sie beide pareto-effizient sind. Der Vorwurf lautet dann, dass sich Ökonomen nicht für klassische Verteilungsfragen interessieren und ihnen Ungleichheit egal ist, solange sie nur Effizienz erreichen können. Doch natürlich sind auch Ökonomen in der Regel soweit sensibilisiert, dass sie hier den ungerechten Zustand erkennen. Darauf kommt es jedoch primär nicht an, da sich die Ökonomie die Antwort auf die Frage, was gerecht ist, nicht anmaßen möchte und sollte. Wissenschaftlich fällt das in den Bereich der Philosophie und praktisch in die Verantwortung der Willensbildung einer Demokratie.

Warum es aber dennoch überaus sinnvoll ist, die Pareto-Effizienz als Zielkriterium festzulegen, wird durch eine kleine Variation des Beispiels leicht ersichtlich. Max hat nun acht Lakritze, mag aber keine Lakritze, sondern nur Gummibärchen. Moritz besitzt zwei Gummibären und liebt alle Arten von Süßigkeiten. In diesem Fall kann wohl immer noch nicht von einer gerechten Verteilung die Rede sein. Neu ist an dieser Stelle aber vor allem, dass der Zustand nicht mehr pareto-effizient ist. Max könnte nämlich seine acht Lakritz, die er ohnehin nicht mag, gegen einen Gummibären mit Moritz tauschen und wäre damit glücklicher als zuvor. Dass sich Moritz mit acht Lakritz und einem Gummibärchen dabei besserstellt, steht außer Frage. Diese neue Verteilung wäre also pareto-effizient, auch wenn sie weiterhin als ungerecht aufgefasst wird.

Das Beispiel verdeutlicht, dass die Pareto-Effizienz als Minimalziel von allen akzeptiert wird. Denn solange sie noch nicht besteht, stimmt jeder gerne zu, die Verteilung so zu verändern, dass ein pareto-effizienter Zustand erreicht wird. Niemand ist schlechter dran als vorher, aber vielen geht es besser.

Zugleich kann es sich nur um ein Minimalziel handeln, das stets erfüllt sein sollte, aber um weitere Kriterien ergänzt werden muss – zumindest jedoch um ein Kriterium für Gerechtigkeit (ein anderes Kriterium könnte zum Beispiel Nachhaltigkeit sein). Ein solches Kriterium gesellschaftlich festzulegen, obliegt dem Primat der Politik und ist dann unentbehrlich für den Wert ökonomischer Analysen. Die Stärke des Effizienz-Konzepts beinhaltet also zugleich seine Schwäche: Der Annahme, die Pareto-Effizienz als erstrebenswert anzusehen, kann jedermann zustimmen. Allerdings bedarf sie immer zusätzlicher, möglicherweise weitaus gewichtigerer Kriterien, um praxisdienliche Ergebnisse herzuleiten. So wiegen bei der Entscheidung, Flüchtlinge aufzunehmen, nicht ökonomische, sondern humanitäre Kriterien besonders schwer. Das ist hoffentlich jedem klar – ob Ökonom oder nicht.

 

Beitragsbild: I-vista / pixelio.de

Kommentare

1 Antwort zu „Falsche Annahmen über Ökonomen: Effizienz ist wichtig, aber nicht alles“

  1. Avatar von Timon Renz
    Timon Renz

    Top Text – sehr gut erklärt!!!

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