Mogelpackung Mütterrente

In ihrem 2013 erschienenen Rentenbericht prophezeit die OECD Deutschlands Geringverdienern eine düstere Zukunft, denn hierzulande sind die Rentenbezüge für Menschen mit einem niedrigen Gehalt so gering wie in kaum einem anderen Industriestaat. Besonders stark von Altersarmut betroffen sind wieder einmal die Frauen. Doch die Politik scheint nun endlich auf dieses Problem reagieren zu wollen und so verabschiedete der Bundestag erst kürzlich mit großer Mehrheit das schwarz-rote Rentenpaket. Die stolzen Extrakosten dafür: 160 Milliarden Euro bis 2030. Den finanziell größten Posten davon mit 100 Milliarden Euro nimmt die Mütterrente ein. Damit stößt die große Koalition auf breite Zustimmung bei den Bundesbürgern. Doch was diese zu übersehen scheinen, ist, dass der „Muttizuschuss“ – trotz des gewaltigen Betrags, der dafür aufgewandt werden muss – kaum dazu beitragen wird, die drohende Altersarmut von Frauen zu bekämpfen. Vielmehr stellt der Zuschuss ein teures Wahlgeschenk dar, mit dem sich SPD und CDU zu Lasten der jüngeren Generationen bei ihren Wählern im Renten- und Vorruhestandsalter bedanken.

Die Mütterrente – was ändert sich?

Nach einem langen Arbeitsleben in den wohlverdienten und gut bezahlten Ruhestand gehen zu können – dies war für viele Generationen der vergangenen Jahrzehnte nur allzu selbstverständlich. Denn es galt, um es mit den berühmten Worten von Norbert Blüm zu sagen: „Die Rente ist sicher!“ Doch allmählich scheint das Bild der goldenen Rentengeneration Risse zu bekommen. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen dies. Bereits heute sind rund eine halbe Millionen Menschen über 65 Jahre auf die staatliche Grundsicherung angewiesen. Und ab 2030 winkt nach Prognosen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales selbst Arbeitnehmern, die 35 Jahre Vollzeit gearbeitet und dabei 2500 Euro brutto im Monat verdient haben, lediglich eine Rente in Höhe des Grundsicherungsbetrags von 688 Euro. Damit wäre jeder dritte Rentner auf Hilfe vom Staat angewiesen. Die Verarmung im Alter nimmt also in den kommenden Dekaden schleichend zu. Und da sich die Rentenansprüche eines Rentners ausschließlich an dessen Erwerbshistorie orientieren, gilt die einfache Formel: Wer jetzt wenig verdient oder nicht durchgängig arbeitet, wird auch im Alter arm sein. Besonders schlecht sieht es demnach für Frauen aus, die aufgrund von geschlechtsspezifischen Normen heute immer noch weitaus öfter im Beruf aussetzen oder in Teilzeit arbeiten und somit lediglich eine lückenhafte Erwerbsbiographie vorweisen können. Die schlägt sich wiederum in fehlenden Beitragsjahren und geringeren Beitragszahlungen nieder und somit in einer deutlich niedrigeren Durchschnittsrente für Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Altersgenossen.

Doch sollte eine zukunftsfähige Rentenversicherung diese Situation der Frauen nicht berücksichtigen? Sollte eine gerechte Alterssicherung nicht vielmehr darauf bedacht sein, dass die fortbestehenden familienrollenbedingten Nachteile von Frauen in der Erwerbstätigkeit nicht auch noch zu Nachteilen in der Altersversorgung führen? Denn auch Erziehungsleistung muss gewürdigt werden! Hier kommt nun die ab 1. Juli 2014 geltende Mütterrente ins Spiel. So wird die Erziehung von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, künftig nicht mehr nur noch mit einem, sondern mit zwei Entgeltpunkten bewertet. Konkret erhöht sich damit der Rentenbetrag um 28 Euro im Westen beziehungsweise um 25 Euro im Osten – brutto wohlgemerkt. Abgezogen werden müssen also noch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Steuern. In den Genuss dieser „großzügigen“ Rentenaufstockung kommen nach Regierungsangaben im Jahr 2014 rund 9,5 Millionen Frauen und 150.000 Männer. Finanziert werden soll die Mütterrente über die Beitragszahlungen der aktuellen Mitglieder der Rentenversicherung, also von allen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern (andere gesellschaftliche Gruppen wie Beamte, Personen mit Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenze oder Bezieher von Kapitaleinkommen bleiben dagegen ungeschoren).

Arm bleibt arm 

„Wir haben unser Rentensystem in den letzten 15 Jahren zukunftssicher gemacht, aber es sind dabei eben auch Gerechtigkeitslücken entstanden oder Gerechtigkeitslücken, die es gab, nicht geschlossen worden. Da packen wir an.“ Mit diesen Worten verteidigt Andrea Nahles beharrlich die Mütterrente. Aber hat Frau Nahles damit auch recht? Trägt die Mütterrente tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit bei? Fakt ist, dass es für Kinder, die 1992 oder später geboren wurden, nach wie vor drei und damit einen Entgeltpunkt mehr gibt als für Kinder mit einem Geburtsdatum vor 1992. Zudem verbessert die Reform nur die Situation von Eltern, die bereits vor langer Zeit Nachwuchs bekommen haben. Dies hat zur Folge, dass hauptsächlich diejenigen Jahrgänge profitieren, die fast kein Armutsrisiko aufweisen, da sie ohnehin eine vergleichsweise hohe Rente erhalten werden oder bereits erhalten. Dabei sind es aber gerade die zukünftigen Generationen, die von Bedürftigkeit im Alter bedroht sind, denn bis 2030 wird das Nettorentenniveau auf 43 Prozent zurückgehen. Der demografische Wandel in Deutschland ist hierbei eine der Hauptursachen der Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung, denn durch sinkende Geburtenraten reduziert sich die Anzahl der Beitragszahler, während zugleich die steigende Lebenserwartung eine Ausweitung des Leistungsvolumens mit sich bringt. Gelöst werden könnte dieses Problem, indem Anreizstrukturen zur Steigerung der Geburtenraten im Rentensystem verankert werden. Allerdings werden durch die jetzt beschlossene Mütterrente naturgemäß weder besagte Fertilitätsanreize geschaffen noch Altersarmut wirksam bekämpft.

Doch das ist noch nicht alles, denn wer geht komplett leer aus? Paradoxerweise die Frauen, die zur Vermeidung von Altersarmut staatliche Grundsicherung beziehen. In diesem Fall wird die Mütterrente nämlich nicht ausgezahlt, sondern mit den Leistungen der Grundsicherung verrechnet, wodurch sie faktisch keinen Cent mehr erhalten. Auch bei Frauen, die eine Witwenrente bekommen, wird der zusätzliche Entgeltpunkt zur Kindererziehung als Einkommen veranschlagt. Damit wird das Prinzip, dass eine gesetzliche Rentenversicherung, die als Pflichtversicherung organisiert wird, auch einen soziale Ausgleichsfunktion erfüllen muss, grundlegend verletzt. Denn diejenigen, die die Hilfe am nötigsten hätten, erhalten durch die teure Reform nichts. Stattdessen werden die Aufschläge unabhängig vom Bedarf verteilt und somit fließt ein Großteil des Geldes an Frauen, die diese Hilfe vom Staat eigentlich gar nicht bräuchten. Gerechtigkeit sieht anders aus, liebe Frau Nahles!

Schwarz-Rot kündigt den Generationenvertrag

Das Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland ist der so genannte Generationenvertrag. Ihm zufolge kommen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch ihre monatlichen Beiträge in die Rentenkasse für die laufende Alterssicherung der Menschen im Ruhestand auf. Im Gegenzug kann die heutige Generation von Erwerbstätigen erwarten, dass ihre eigene Rente durch die Beitragszahlungen der nachfolgenden Generation gedeckt ist. Der Generationenvertrag ist  notwendig, da das System zur Finanzierung der Rente auf dem Umlageverfahren aufbaut und die jeweils aktive Beitragszahlergeneration in Vorlage tritt, ohne eine Garantie zu haben, dass sie selber später eine Rente erzielen wird. Der Generationenvertrag bewirkt hierbei eine starke moralische Verpflichtung für zukünftige Generationen. Diese Verpflichtung wird von den kommenden Generationen dann gerne wahrgenommen, wenn sich die gesetzliche Rentenversicherung am Ziel einer gleichmäßigen Lastenverteilung unter den Generationen orientiert. Der Generationenvertrag erodiert jedoch, wenn grob gegen dieses Prinzip verstoßen wird. Dann könnten beispielsweise junge Leistungsträger der Gesellschaft das Land verlassen und sich damit ihren Verpflichtungen entziehen (was nicht bedeutet, dass sie nicht auf privatem Wege ihre eigenen Eltern unterstützen würden). Durch die Finanzierung der Mütterrente über Beitragszahlungen wird das Ziel der gleichmäßigen Lastenverteilung allerdings nicht erreicht und der Generationenvertrag damit massiv verletzt. Dies hat nicht nur eine Abkehr von der Einstufung der Kindererziehung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Folge, sondern auch eine Umverteilung von Jung zu Alt. Nach Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW wird der Beitragssatz durch die Mütterrente langfristig steigen, alleine bis 2018 um 0,3 Prozentpunkte. Zugleich fällt auch der Rentenanstieg geringer aus, denn die Mütterrente wird das Bruttorentenniveau ebenfalls bis 2018 um durchschnittlich 0,4 Prozentpunkte reduzieren. Damit werden insgesamt also vor allem heutige Rentenempfänger beziehungsweise rentennahe Jahrgänge begünstigt, während die gegenwärtigen Beitragszahler stärker belastet werden. Unter dem Strich gilt für die junge Generation: sie zahlt viel und bekommt wenig.

 Fazit

Die Politik hat richtig erkannt, dass die Erziehungsleistung von Eltern zu wenig honoriert wird und dass es die drohende Altersarmut von Frauen dringend zu bekämpfen gilt. Doch die Mütterrente ist eine schlechte Antwort auf diese Zukunftsprobleme, denn sie hilft den Falschen. Für Frauen mit geringen Rentenansprüchen sind 28 Euro pro Kind einfach viel zu wenig. Und Frauen, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind, gehen gleich ganz leer aus. Die Finanzierung über Beitrags- statt Steuermittel verdeutlicht obendrein, dass die Mütterrente nichts mehr als ein Wahlgeschenk an die heutigen Rentner zu Lasten der jetzt erwerbsfähigen Bevölkerung ist.

Vielleicht ist eine Rentenreform aber auch der falsche Ansatzpunkt zur Lösung dieser Probleme. So haben viele Frauen aufgrund immer noch fehlender Betreuungsmöglichkeiten faktisch kaum eine andere Möglichkeit, als den Job für den Nachwuchs aufzugeben und dadurch auf Rentenansprüche zu verzichten. Die Zeiten der Kindererziehung und die damit einhergehende fehlende Integration in den Arbeitsmarkt sind die Hauptursache dafür, dass Frauen im Durchschnitt eine deutlich geringere Rente als Männer erhalten. Doch um diese Missstände zu beheben, ist die Familienpolitik gefragt. So könnte beispielsweise die Einrichtung von mehr Krippenplätzen oder Ganztagsschulen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Unseren Müttern und Großmüttern sei die Mütterrente ja von Herzen gegönnt – aber es bleibt ein fader Beigeschmack.


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