Zwischen Wettbewerb und Konsens: Eine ordnungspolitische Perspektive auf Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit

Die deutsche Volkswirtschaft steuert mitten in den Zeiten einer europäischen Krise der Vollbeschäftigung entgegen. Dank seiner hohen Exportquote ist das Land besser durch die letzten Jahre gekommen als die meisten anderen Euro-Staaten. Die enorme Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Vergleich zu seinen europäischen Partnern spiegelt sich in einer hohen Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen zu niedrigen Zinsen wider, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich gefördert wird. So schafft es Deutschland, im internationalen Wettbewerb (dauerhaft) Einkommen und ein hohes Beschäftigungsniveau zu generieren, ohne dass dabei die soziale Balance innerhalb der Gesellschaft aus den Fugen gerät. Diese positive Entwicklung ist auf das ordnungspolitisch geprägte, stark dezentralisierte Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung zurückzuführen.

Verfolgt man die Diskussionen über die im vergangenen Jahrzehnt stark zugenommene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, dann werden häufig die strukturellen Reformen der Agenda 2010 als Gründe für diese Entwicklung angeführt. Dieses Argument ist ohne Zweifel richtig und wichtig, jedoch führt es am eigentlichen Kern der Frage vorbei, denn Deutschlands Wirtschaft ist nicht erst seit einer, sondern seit vielen Dekaden wettbewerbsfähig. Es muss also gefragt werden, warum es Deutschland seit so langer Zeit gelingt, auf den Weltmärkten erfolgreich und konkurrenzfähig zu sein und selbst Schwächephasen, in denen an Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit gezweifelt wurde, durch Reformen zu überwinden.

Die Antwort auf diese Frage ist in einem Paradoxon zu finden: Das deutsche Gesellschaftsmodell ist zugleich wettbewerbs- und konsensorientiert! Oder, um es etwas anders auszudrücken: Deutschland ist gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich durch und durch von den Prinzipien der Ordnungspolitik und der Sozialen Marktwirtschaft (einer ebenfalls etwas paradoxen Begrifflichkeit) geprägt. Dieser institutionelle Rahmen hat es ermöglicht, die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zunächst zu begründen und dann über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten bzw. in der Krise zurückzugewinnen.

Betrachtet man das deutsche Gesellschaftssystem zunächst aus einer Wettbewerbsperspektive (dem marktwirtschaftlichen Teil der Sozialen Marktwirtschaft), dann zeigt sich zum einen eine mittelständisch geprägte und sehr heterogene Wirtschaftsstruktur, in der oligopolartige Strukturen selten sind, sodass die meisten Unternehmen bereits auf dem deutschen Markt in einem intensiven Wettbewerb untereinander stehen. Dieser Wettbewerb führt, so zeigten es schon die beiden großen Freiburger Ordnungsökonomen Walter Eucken und Friedrich August von Hayek, zu hoher Kostendisziplin und Effizienz sowie zu Innovationen. Dies wiederum sind die entscheidenden Voraussetzungen für unternehmerischen Erfolg auch auf dem internationalen Parkett. Das deutsche Wettbewerbsrecht unterstützt diese Wirtschaftsstrukturen zusätzlich. Zum anderen ist auch das politische bzw. gesellschaftliche System der Bundesrepublik durch seine starke Dezentralität und seine Orientierung am Gedanken der Subsidiarität wettbewerblich aufgestellt. Bewusst sind politische Entscheidungskompetenzen auf niedrigen körperschaftlichen Hierarchieebenen angesiedelt worden, die die Konkurrenz der Ländern und Kommunen untereinander anfachen. So wird politische und gesellschaftliche Innovation und Effizienz stärker gefördert als dies in stark zentralisierten Staaten der Fall ist. Insgesamt ist das wettbewerblich-dezentrale deutsche Gesellschaftsmodell durch einen hohen Grad an Resilienz gekennzeichnet und damit in der Lage, bei äußeren und inneren Störungen schnell auf den gleichgewichtigen Gesellschaftspfad zurückzukehren.

Damit der letztgenannte Mechanismus funktioniert, muss allerdings auch die zweite Eigenschaft des Gesellschaftssystems erfüllt sein, die Konsensfähigkeit. Die Idee des gleichgewichtigen Gesellschaftspfads deutet bereits an, dass weite Teile des politischen Spektrums (oder eine relativ große und stabile Medianwählergruppe) ähnliche Vorstellungen von der gesellschaftlichen Entwicklung haben und dadurch in der Lage sind, sich auch auf grundlegende Reformen zu einigen. Die Agenda 2010 ist ein gutes Beispiel für einen solchen Prozess. Trotz allen Streits über die Details der Agenda wurde diese letztlich von allen zentralen politischen Kräften gemeinsam umgesetzt, um das wettbewerbliche deutsche Modell in Zeiten der Globalisierung zu stärken. Befreit von vielen strukturellen Ineffizienzen, die vor allem im Laufe der 1990er Jahren immer stärker zum Tragen gekommen waren, konnte die deutsche Wirtschaft ihren Fokus wieder auf die internationalen Märkte richten. Dort konnte Deutschland nun seine zurückgewonnene Wettbewerbsfähigkeit gewinnbringend nutzen, wobei die Erfolge im Laufe der Zeit auf immer größere gesellschaftliche Gruppen ausstrahlten. Diese Entwicklung schafft erneutes Vertrauen in das deutsche Gesellschaftssystem und wird in möglichen zukünftigen Krisen (etwa als Folge des erwarteten demographischen Wandels) wieder einen ordnungspolitischen Konsens in der deutschen Gesellschaft ermöglichen, der das Modell der Sozialen Marktwirtschaft vorsichtig, aber erfolgreich an die neue Lage anpassen wird. Dies bedeutet eine langfristige Konstanz in der Politik, die bereits Walter Eucken als eines der konstituierenden Prinzipien eines effizienten Ordnungsrahmens identifiziert hatte und die eine maßgebliche Bedingung für die Erwartungssicherheit der Wirtschaftsakteure und damit eines funktionierenden Wettbewerbs – national wie global – ist. Dass Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit davon wiederum profitieren wird, muss kaum erwähnt werden!

Will man also den Schlüssel für den langfristigen Erfolg der deutschen Wirtschaft im globalen Wettbewerb finden, dann bedarf es eines Blicks auf die institutionellen Gegebenheiten des Landes. Deutschlands ordnungspolitisch geprägtes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft vereint in gewinnbringender Weise die eigentlich gegensätzlichen Ideen des Wettbewerbs und des Konsens in Ökonomie, Politik und Gesellschaft. Unter den Bürgern und Institutionen in Deutschlands Mitte besteht ein grundsätzlicher und langfristiger Konsens, in einem wettbewerblichen Gesellschaftsmodell mit sozialer Abfederung leben zu wollen. Der permanente Wettbewerbszustand im Nationalen wie Globalen führt zu einer generellen Bereitschaft der Arbeitnehmer und Unternehmer, immer wieder nach höchst möglicher Wettbewerbsfähigkeit zu streben. Ist die betriebliche Wettbewerbsfähigkeit durch politische und institutionelle Ineffizienz gefährdet, dann wird sich – trotz allem Streit im Detail – eine politische Mehrheit finden, die das Land durch Reformen auf den gleichgewichtigen, effizienten Gesellschaftspfad zurückführen wird.

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Dieser Beitrag ist speziell für die Blogparade des Wirtschaftswurms geschrieben worden und wurde gemeinschaftlich von unserer Redaktion verfasst. Im Redaktionsteam waren: Matthias Bujko, Yannick Bury, Christian Fischer, Hendrik Jandel, Bettina Kalmbach, Jan Menzel, Corinna Müller, Giacomo Pasin und Marcel Weber.

Kommentare

2 Antworten zu „Zwischen Wettbewerb und Konsens: Eine ordnungspolitische Perspektive auf Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit“

  1. Avatar von Max Schindler

    The uniquely German branch of economics that emphasises rules, called “Ordnungspolitik”, sets the intellectual tone..

  2. […] sowie Staat und Gesellschaft. Die letzten beiden Punkte greift zum Glück der Blog “Think Ordo” auf: Das “ordnungspolitisch geprägte, stark dezentralisierte Wirtschafts- und […]

  3. […] deutscher Produkte (vgl. auch die Diskussion über die Gründe der deutschen Wettbewerbsfähigkeit auf unserem Blog und der Seite des Wirtschaftswurms). Sie sind entweder besser oder billiger als die Produkte […]

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